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Ernst Lohoff / Norbert Trenkle

Die große Entwertung. Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursache der Krise sind

Münster: Unrast 2012; 303 S.; 18,- €; ISBN 978-3-89771-495-3
In einer politischen Debatte, in der die Staatsverschuldung und die vermeintliche Gier der Finanzmärkte als Hauptursachen der seit 2007 schwelenden Finanz- und Wirtschaftskrise ausgemacht werden, lässt bereits der Titel von Ernst Lohoffs und Norbert Trenkles Analyse aufhorchen – auch wenn die Radikalität der beiden Autoren dem einen oder anderen Leser nicht geheuer sein dürfte: Beide halten die „Basisannahme“ der gegenwärtigen Debatten, dass sich die derzeitige Krise „auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise lösen“ lässt, für „grundverkehrt“ (8). Zu Recht verweisen Lohoff und Trenkle auf das Paradox, dass die durch die Neoklassik dominierte Volkswirtschaftslehre – trotz immer wiederkehrender Krisen – im Markt nach wie vor „den zuverlässigen Garanten von Gleichgewichtszuständen“ (13) erkennt. Den zentralen Angriffspunkt ihrer Analyse bildet jedoch – in Anlehnung an Marx – die herrschende Produktionsweise im Zeitalter der dritten industriellen Revolution. Diese untergrabe durch eine „ständige Produktivitätssteigerung die Wertproduktion [...] und damit das Fundament der Kapitalverwertung“ (17). In sehr gut verständlicher Weise zeichnen die beiden Autoren die grundlegenden Überlegungen der Marx’schen Theorie nach, indem sie auf den von ihm geprägten Begriff des „Fetischcharakters der Warenproduktion“ (23), die daraus entwickelte Mehrwerttheorie sowie die daraus resultierenden Systemzwänge zur endlosen Expansion und die historischen Wachstumsdynamiken eingehen. Dieser Argumentationslogik folgend, können Lohoff und Trenkle zeigen, wie die Arbeitskraft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer weiter an Wert verloren hat; dies konnte auch nicht durch eine Umstellung auf eine Dienstleistungsgesellschaft kompensiert werden. Teil II und III der Analyse widmen die beiden Autoren der Logik des fiktiven Kapitals. Dieses hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten neue Vermehrungsmöglichkeiten an den Finanzmärkten gesucht, da eine produktive Kapitalverwertung aufgrund der Erschließung extrem niedriger Billigarbeitsmärkte drastisch an Attraktivität verloren hat. Im Epilog wenden sich Lohoff und Trenkle noch einmal gegen die derzeit dominanten Erklärungsmuster der Krise. Stattdessen verweisen sie darauf, dass sich die Geldsumme bei einer Kreditbeziehung verdoppele – sie existiere „einmal in der Hand des Schuldners als Geld und ein andermal in der Hand des Gläubigers als verbriefter Anspruch auf dieses Geld, als Eigentumstitel“ (288). Die Überschuldung einzelner Staaten sei damit nicht in Kategorien von subjektiver Schuld zu erklären, sondern als Ausdruck von Disparitäten in der „Wertproduktion“ (289). Einen Masterplan zur Krisenbewältigung – das gestehen die beiden Autoren ein – können auch sie nicht vorlegen. Ihre grundlegend andere Perspektive stellt jedoch schon an sich eine Bereicherung für die Diskussion dar.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 5.45 | 4.43 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Ernst Lohoff / Norbert Trenkle: Die große Entwertung. Münster: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31076-die-grosse-entwertung_36946, veröffentlicht am 17.01.2013. Buch-Nr.: 36946 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken