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Aram Mattioli

Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935-1941. Mit einem Vorwort von Angelo Del Boca

Zürich: Orell Füssli 2005 (Kultur - Philosophie - Geschichte 3); 239 S.; geb., 38,80 €; ISBN 3-280-06062-1
Der Krieg Italiens gegen das Kaiserreich Abessinien (heute Äthiopien) sei kein verspäteter Kolonialkrieg gewesen, so die These Mattiolis, Zeithistoriker in Luzern. Es habe sich vielmehr um die erste große internationale Krise nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sowie um die erste Machtdemonstration einer faschistisch regierten Gesellschaft gehandelt. Der Krieg könne angesichts der italienischen Motive und der militärischen Vorgehensweise als Beginn des Zweiten Weltkrieges verstanden werden – ohne historisches Vorbild sei 1935 erstmals eine Nation für die Eroberung eines neuen „Lebensraums“ mobilisiert worden. Die militärische Umsetzung dieser Idee sei möglich gewesen auf der Basis eines „Cocktail[s] aus günstig beurteilten Rahmenbedingungen, ideologischen Wahnideen und innenpolitischen Motiven“ (61). Dazu habe gehört, dass die Weltmächte der japanischen Besetzung der Mandschurei zugesehen hatten und die Italiener in Abessinien auf eine ähnliche Tatenlosigkeit hoffen konnten – die Äthiopier galten trotz ihrer alten christlichen Kultur als unzivilisiert. Vor allem aber habe Mussolini auch aus Gründen des Prestiges auswanderungswilligen Italienern eine Alternative zu den USA oder Argentinien bieten wollen. Abessinien sei für viele Italiener unter dem Eindruck der Propaganda eine Projektionsfläche für die Hoffnung auf ein besseres Leben geworden. Die Aggression gegen dieses Land aber „kam einer schweren Missachtung der Völkerbundssatzung und zahlreicher internationaler Verträge gleich“ (126), vorerst fast ohne Konsequenzen: Die europäischen Mächte hätten das unabhängige, dem Völkerbund angehörende Abessinien ohnehin als Betriebsunfall im ansonsten (bis auf Liberia) kolonialisierten Afrika angesehen. Das Vorgehen der Italiener, die von Anfang an die Bevölkerung auch aus der Luft angegriffen hätten, habe die späteren Ereignisse in Europa vorweg genommen. Nach dem Sieg sei die Apartheid eingeführt worden. Erst als sich die Briten durch weitere Expansionsgelüste der Italiener bedrängt fühlten, sei der abessinische Kaiser unterstützt und das Land 1941 befreit worden.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.1 | 4.41 | 2.61 | 2.67 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Aram Mattioli: Experimentierfeld der Gewalt. Zürich: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/24748-experimentierfeld-der-gewalt_28599, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 28599 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken