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Peter Reichel

Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater

München/Wien: Carl Hanser Verlag 2004; 374 S.; 24,90 €; ISBN 3-446-20481-4
Die „permanente [...] Vergegenwärtigung" (9) der NS-Diktatur definiert Reichel, Professor für Politische Wissenschaft in Hamburg, als die zweite Geschichte des Nationalsozialismus. An diese knüpft er vier geschichtspolitische Felder: den Bereich des politisch-rechtlichen und politisch-kulturellen Handelns, analysiert 2001 in „Vergangenheitsbewältigung in Deutschland" (siehe ZPol 2/02: 849); den Bereich der öffentlichen Erinnerung, dargestellt 1995 in „Politik mit der Erinnerung" (siehe ZPol 1/96: 206). Als Drittes nennt Reichel die Zeitgeschichtsforschung und schließt dabei Auseinandersetzungen wie den Historikerstreit oder die Goldhagen-Debatte ein. Dem vierten Feld, dem der ästhetischen Kultur, widmet er seine dritte und abschließende Studie zur zweiten Geschichte des Nationalsozialismus. An ausgewählten Theaterstücken und Filmen aus der Bundesrepublik und der DDR, die für ihre Zeit als repräsentativ anzusehen sind, zeigt er, wie sich erfundene Erinnerungen als Geschichtsdeutung auf die Öffentlichkeit auswirk(t)en. Im ersten Teil, „Kriegsbilder der Nachkriegszeit", werden die Aussagen u. a. von „Draußen vor der Tür", „Des Teufels General", „Der Arzt von Stalingrad" und „Die Brücke" analysiert und in die öffentliche Debatte eingeordnet. Im zweiten Teil, „Ansichten von Auschwitz", zeigt Reichel, dass die Judenverfolgung in den Nachkriegsfilmen ein Randthema war. „Eher tröstlich und unterhaltsam" (191) wurde in Filmen wie „Ehe im Schatten" und „In jenen Tagen" dem Publikum vor Augen geführt, dass auch unter einem unmenschlichen Regime menschliche Solidarität gelebt werden konnte. Auf diese „ästhetisch-kulturelle Entwirklichung" (25) der NS-Zeit nach 1945 sei in den 60er-Jahren eine Politisierung gefolgt, so mit Hochhuths „Der Stellvertreter". Seit dem Ende der 70er-Jahre habe eine „nachhaltige Emotionalisierung im Umgang mit dem Holocaust" (25) eingesetzt. Als Beispiel dafür nennt Reichel den Film „Schindlers Liste". Dieser Entwicklung kann der Autor durchaus etwas abgewinnen: Mit „dem Aussterben der Generationen der Mit- und Überlebenden des Nationalsozialismus [werden] die Produkte einer massenkulturellen Sekundärerfahrung als emotional ansprechende Medien noch wichtiger" (24).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.312 | 2.313 | 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Peter Reichel: Erfundene Erinnerung. München/Wien: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21070-erfundene-erinnerung_24579, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24579 Rezension drucken