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Ian Bremmer

Macht-Vakuum. Gewinner und Verlierer in einer Welt ohne Führung. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm

München: Carl Hanser Verlag 2012; 223 S.; geb., 19,90 €; ISBN 978-3-446-43483-7
Welche Machtarithmetik gilt in einer „G‑0‑Welt“? Ian Bremmer beschreibt in seiner Diagnose der gegenwärtigen internationalen Politik aus US‑amerikanischer Sicht eine internationale Staatenwelt, in der die G‑8‑Staaten nicht mehr hinreichend politisches Gewicht auf die Waage bringen, um die Probleme der Welt im Sinne einer westlich inspirierten Good Governance zu bewältigen. Da die G‑20 oder beliebige andere Staaten(gruppen) in dieser Welt ebenfalls – noch – nicht so weit sind, dass sie einen adäquaten Führungsanspruch umsetzen könnten, fragt Bremmer, was aus einer Welt werden könnte, in der jeder Staat, jede Regierung zunächst nur an sich selbst denkt. Bremmer entwirft fünf mögliche Zukunftsszenarien, die von „es wird schon“ bis „schlimmer geht es nicht“ reichen. Die drei positiveren Varianten reichen von einer – in dieser doch recht bezeichnenden Reihenfolge – G‑2‑Welt, in der China und die USA als gleichberechtigte Führungsmächte die Weltpolitik gestalten, über eine echte, auf authentischer, ernst gemeinter Kooperation basierende G‑20‑Welt im Sinne einer Fortschreibung der heute schon rudimentär bestehenden Strukturen bis hin zu einer tiefgreifenden regionalen Zersplitterung, die sich einem globalen Führungsanspruch entzieht. Die beiden negativeren Varianten wären ein „Kalter Krieg 2.0 – oder etwas Schlimmeres“, wobei das Schlimmere durch den Einsatz wirtschaftlicher Waffen – „Marktzugang, Investitionsvorschriften und der Wert von Währungen“ (175) – zustande käme oder durch den vermehrten Gebrauch von Cyberwaffen, also etwa Hackerangriffen über das Internet. Der Worst Case wäre die „G‑unter‑Null“: „Es handelt sich um ein anarchistisches Szenario, bei dem der internationalen Ordnung ungeahnte Zersplitterung droht.“ (184) An kaum einer Stelle des Bandes wird so deutlich wie hier, wie Bremmers Erzählung funktioniert: Ordnung und Planung sind die Regel, Unordnung, Zersplitterung, wie er es nennt, und dezentrale Tendenzen das Schreckgespenst, das es mit aller Macht zu vertreiben gilt. Damit gelingt ihm in der Tat ein spannend erzähltes Buch – wer würde sich nicht, wie bei einem Krimi vom umherschleichenden Mörder – mit Grausen vom „Szenario X“ (184) der G‑unter‑Null‑Welt abwenden? Ob damit die weltpolitische Lage indes richtig beschrieben ist, was ja die Grundlage für eine zutreffende Gegenwartsdiagnose wäre, bliebe zu diskutieren.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.1 | 2.2 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Ian Bremmer: Macht-Vakuum. München: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/179-macht-vakuum_43549, veröffentlicht am 25.04.2013. Buch-Nr.: 43549 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken