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Karl Heinrich Pohl (Hrsg.)

Politiker und Bürger. Gustav Stresemann und seine Zeit

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002; 311 S.; kart., 25,- €; ISBN 3-525-36263-3
Wie heißt eigentlich der Sprecher des russischen Parlaments, der Duma? Eine Frage, die neuerdings Stirnrunzeln bereitet. Seit Wladimir Putin sich als Staatsoberhaupt der Russischen Föderation (RF) inthronisieren ließ, ist fast nichts mehr von den politischen Parteien zu hören. Selbst der Maulheld Wladimir Zirinowskij ist untergetaucht. Während der Regierungszeit von Boris Jelzin war das Treiben der Parlamentarier zumindest öffentlich stärker wahrnehmbar. Dass die Parteien auf längere Zeit eine schwache Kraft im politischen System Russlands bleiben werden, bestätigt Droste in seiner literatur- und fußnotenreichen Arbeit. Obwohl er nur die Periode zwischen dem Zusammenbruch des sowjetischen Regimes und der Präsidentschaftswahl im Sommer 1996 analysiert, haben seine Erkenntnisse weiterhin Gültigkeit. Für den Entstehungs- und Entwicklungszusammenhang der russischen Parteien, so der Autor, sei das politisch-kulturelle Erklärungsmoment sehr erhellend. In der Bevölkerung werden Parteien als "westliche" (313) Formen der Interessenvermittlung angesehen und genießen kaum Vertrauen. Der Grund liegt in der weit verbreiteten Vorstellung des paternalistischen Staates. Die politischen Prozesse der RF sind durch eine starke Personenzentriertheit gekennzeichnet. Das "Regime persönlicher Macht" (317) rückt in den Vordergrund. Der Präsident steht über den Parteien, ist nationaler Konsensstifter und dominierend in der Exekutive. Parteienunabhängige Experten mit entsprechender kommunistischer Erfahrung sind gefragte Krisenmanager. Ein gutes Beispiel ist der 1998 als Ministerpräsident eingesetzte Jewgenij Primakow. Ein Muster, welches schon das sowjetische Herrschaftssystem prägte, ist noch heute für Russland charakteristisch: "zwischen den politischen Machteliten und der russischen Gesellschaft verläuft eine unüberwindbare Kluft, die Entwicklungsunterschiede zwischen Zentrum und Peripherie fallen mit politisch-kulturellen, materiellen und machtpolitischen Trennlinien zusammen." (314) Dass die Parteien diese Kluft nicht überwinden können, liegt nicht allein an der politischen Kultur, sondern ebenso in der verfassungsrechtlichen Position der Staatsduma. Gegenüber dem Präsidenten und dem Ministerkabinett ist sie ein zahnloser Tiger. Der Föderationsrat teilt dieses Schicksal gleichermaßen. In seiner Prognose der Parteienentwicklung weist Droste auf den Faktor Zeit im russischen Kontext hin und meint: "Politische Konsolidierung ist keine Frage von Monaten und Jahren, sondern eher von Jahrzehnten." (323) Gewiss wird dann Gennadij Selesnjow nicht mehr der Sprecher des russischen Parlaments sein. Inhaltübersicht: 2. Das Konzept der "Political Culture"; 3. Die Grundlagen der Parteienforschung; 4. Die vorrevolutionär-zaristische politische Kultur Russlands; 5. Die sowjetische politische Kultur; 6. Die politische Kultur der Russischen Föderation; 7. Der lange Weg zu den ersten Parlamentswahlen; 8. Dumawahlen im Dezember 1993; 9. Dumawahlen im Dezember 1995 und die Präsidentschaftswahlen im Juni/Juli 1996; 10. Das Parteiensystem der Russischen Föderation; 11. Politische Kultur und Parteienentwicklung in der Russischen Föderation.
Thomas Nitzsche (TN)
M. A., Fachreferent für Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in Jena (ThULB).
Rubrizierung: 2.311 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Thomas Nitzsche, Rezension zu: Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Politiker und Bürger. Göttingen: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/17180-politiker-und-buerger_19765, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19765 Rezension drucken