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Erwin Oberländer (Hrsg.)

Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1944

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2001; XII, 697 S.; 51,60 €; ISBN 3-506-76186-2
Durch den Zerfall der imperialen Ordnung des Russischen und Habsburger Reiches infolge des Ersten Weltkrieges entstanden im östlichen Mitteleuropa neue souveräne Staaten. Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechoslowakei gaben sich eine demokratische Grundordnung, um in das neue Europa des Völkerbundes einzutreten. Doch lediglich in Finnland und der Tschechoslowakei hatte die erste Demokratisierungswelle des letzten Jahrhunderts Bestand. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren wurden die Demokratien der Region durch autoritäre Regime ersetzt. Weil die diktatorische Herrschaft zumeist von den Präsidenten ausgeübt wurde, bezeichnet Oberländer diese Form von Autoritarismus als "Präsidialdiktaturen" (3). Ähnliche Tendenzen im Aufbau der nationalen Diktaturen lassen sich in der Zwischenkriegszeit auch in allen südosteuropäischen Ländern (Albanien, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien und Griechenland) beobachten. Von den anderen autoritären Systemen Europas unterschieden sie sich durch die Alleinherrschaft des Monarchen und werden von Sundhaussen als "Königsdiktaturen" (337) bezeichnet. Der umfangreiche Sammelband, der aus dem von der Volkswagen-Stiftung gefördertem Projekt "Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts" (IX) hervorging, fragt länderspezifisch, welche Faktoren und Strukturen zum Scheitern der Demokratie und zur Entstehung autoritärer Regime in den beiden Regionen geführt haben. Zwischen den idealtypischen Punkten der Demokratie und des totalitären Regimes bilden die Diktaturen einen "Systemtypus sui generis" (VIII) in der vergleichenden Erforschung politischer Systeme. Dass die politischen Schwächen der postkommunistischen Staaten Ostmittel- und Südeuropas nicht allein dem kommunistischen Herrschafts- und Wirtschaftssystem anzulasten sind, unterstreicht Oberländer. Die "vorkommunistischen Traditionen üben großen Einfluß auf Verlauf und Ergebnis der postkommunistischen Systemtransformation aus" (IX). Wie aktuell die Bezüge sind, zeigt das Beispiel des bulgarischen Ex-Monarchen Simeon II. Rund zwei Monate vor dem Urnengang gründete er seine nationale Bewegung, die am 17.06.01 die Parlamentswahlen in Bulgarien gewann. Leider werden in den einzelnen Aufsätzen diese Kontinuitäten nur am Rande aufgespürt. Der Grund liegt in der prädisponierten Fragestellung des Forschungsprojekts. Untersucht werden die Grundlagen und Träger des autoritären Regimes sowie die Umgestaltungsprozesse. Der Band bietet einen sehr ausführlichen und wissenschaftlich geglückten Überblick über die nationalen Diktaturen Ostmittel- und Südosteuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Inhalt: I. Ostmitteleuropa: Erwin Oberländer: Die Präsidialdiktaturen in Ostmitteleuropa - "Gelenkte Demokratie"? (3-17); Jerzy Kochanowski: Horthy und Pilsudski - Vergleich der autoritären Regime in Ungarn und Polen (19-94); Raimundas Lopata: Die Entstehung des autoritären Regimes in Litauen 1926. Voraussetzungen, Legitimierung, Konzeption (95-141); Emmerich Tálos: Zum Herrschaftssystem des Austrofaschismus: Österreich 1934-1938 (143-162); Ago Pajur: Die "Legitimierung" der Diktatur des Präsidenten Päts und die öffentliche Meinung in Estland (163-213); Inesis Feldmanis: Umgestaltungsprozesse im Rahmen des Ulmanis-Regimes in Lettland 1934-1940 (215-248); Ilgvars Butulis: Autoritäre Ideologie und Praxis des Ulmanis-Regimes in Lettland 1934-1940 (249-298); L'ubomir Lipták: Das politische System der slowakischen Republik 1939-1945 (299-333). II. Südosteuropa: Holm Sundhaussen: Die Königsdiktaturen in Südosteuropa: Umrisse einer Synthese (337-348); Anila Habibi: Das autoritäre Regime Agmed Zogus und die Gesellschaft Albaniens 1925-1939 (349-378); Nikolaj Poppetrov: Flucht aus der Demokratie: Autoritarismus und autoritäres Regime in Bulgarien 1919-1944 (379-401); Susanne-Sophia Spiliotis: Die Metaxas-Diktatur in Griechenland 1936-1941 - ein faschistoides Regime? (403-430); Hans-Christian Maner: Voraussetzungen der autoritären Monarchie in Rumänien (431-469); Florin Müller: Autoritäre Regime in Rumänien 1938-1944 (471-498); Laslo Sekelj: Diktatur und die jugoslawische politische Gemeinschaft - von König Alexander bis Tito (499-537); Tihomir Cipek: Die kroatischen Eliten und die Königsdiktatur in Jugoslawien 1929-1934 (539-575); Predrag Markowic: Die "Legitimierung" der Königsdiktatur in Jugoslawien und die öffentliche Meinung 1929-1939 (577-631); Milan Ristovic: General M. Nedic - Diktatur, Kollaboration und die patriarchalische Gesellschaft Serbiens 1941-1944 (633-687).
Wilhelm Johann Siemers (SIE)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 2.25 | 2.62 | 2.21 | 2.61 Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: Erwin Oberländer (Hrsg.): Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1944 Paderborn u. a.: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/16072-autoritaere-regime-in-ostmittel--und-suedosteuropa-1919-1944_18417, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 18417 Rezension drucken