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Christian Graf von Krockow

Die Zukunft der Geschichte. Ein Vermächtnis

München: List Verlag 2002; 208 S.; geb., 20,- €; ISBN 3-471-79467-0
Mit einer scharfen Kritik am gegenwärtigen Geschichtsbewusstsein beendete der im März 2002 verstorbene Politikwissenschaftler sein wissenschaftliches Werk. Der Auslöser für seine Kritik war die nach dem 11. September 2001 weit verbreitete Ansicht, dass die Terroranschläge etwas völlig Neues seien. Für von Krockow aber sind die Ähnlichkeiten mit dem Terrorregime der Nationalsozialisten offensichtlich. Da diese Zusammenhänge jedoch kaum oder gar nicht gesehen würden, bräuchten wir ein anderes Geschichtsbewusstsein. Bisher folge aus der Gedenkkultur, die sich beinahe ausschließlich auf den Zivilisationsbruch der Nationalsozialisten konzentriere, "eine beispiellose Moralisierung der Geschichte" (105). Damit entstehe eine Blindheit, "man erkennt das Unheil nicht, wenn es unter neuen Fahnen und Vorzeichen auftritt" (104). Das Moralisieren verkürze die Geschichte, das Geschichtsbewusstsein sei an ein rückwärts gerichtetes Feindverhältnis gebunden. "Macht die moralisierende Gedenkkultur sich nicht geradezu von ihrem Gegner abhängig?" (122) Außerdem werde nicht auf die richtigen Symbole gesetzt. Von Krockow hält es für einen Fehler, nicht den 9. November 1989 und damit die Zivilcourage der Ostdeutschen zum Begründungsdatum eines nationalen Feiertags gemacht zu haben, sondern den 3. Oktober 1990. Mit diesem Datum werde nur dem Handeln "von oben" gehuldigt. Die allgemeine Entwicklung in der hoch technisierten Welt führe dazu, so von Krockow, dass sich das bisherige Geschichtsbewusstsein auflöse. Traditionen und überliefertes Wissen zählten immer weniger, die Menschen müssten für die Zukunft lernen. "Gibt es überhaupt noch eine Zukunft der Geschichte?" (140) Ja, meint der Autor, und entwirft die Idee eines zeitgemäßen, den globalen Anforderungen genügenden Geschichtsbewusstseins: Für die Geschichtsphilosophie seien nicht mehr die Überlieferung und die Utopie maßgeblich, "am Anfang und am Ende steht nicht Deutschland, Europa oder Amerika, sondern die Menschheitsgeschichte" (153). Die wichtigste Tugend sollte die Skepsis sein. Sie lasse Anteilnahme zu, behüte aber vor falschen Propheten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.31 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Christian Graf von Krockow: Die Zukunft der Geschichte. München: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/14618-die-zukunft-der-geschichte_21333, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 21333 Rezension drucken