Autor dieses Bandes ist ein 1888 geborener Journalist, der als einer der wenigen litauischen Juden das Wilnaer Ghetto von Kriegsbeginn bis zu dessen Auflösung erlebt und überlebt hat. Trotzdem hat Schur den Holocaust nicht überstanden; er wurde kurz vor der Befreiung im KZ Stutthof ermordet. Bewahrt wurden nur seine Manuskripte, die unter schrecklichen Bedingungen heimlich entstanden und mit Hilfe einer litauischen Bekannten gerettet wurden. Schurs Neffe, der in Köln als Schriftsteller und Literaturwissenschaftler lebt, hat dieses Dokument nun bearbeitet und auch der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Inhalt der Aufzeichnungen ist den bereits bekannten Tagebüchern, die unter ähnlichen Umständen geschrieben wurden, nicht unähnlich. Eine besondere Perspektive ist die Unmittelbarkeit der Eindrücke, die oftmals noch im Geschehen selbst verfasst sind und dann nachträglich das (fast immer grauenhafte) Resultat hinzufügen. Dabei zieht sich durch den ganzen Bericht ein journalistisch beobachtender Ton, der Ereignisse registriert und kommentiert, ohne die persönliche Betroffenheit des Schreibers zu verdeutlichen - das gilt selbst dann, wenn sein eigener Sohn einer "Säuberung" zum Opfer fällt. Schur spart auch nicht mit Kritik an den Behörden der jüdischen Selbstverwaltung des Ghettos, vor allem an den jüdischen Polizisten, deren Kollaboration mit den Nazis bitter festgehalten wird. Der Text ist ergreifend und voller nüchterner Brutalität. Von der Edition des Textes hätte man sich etwas mehr historischen Aufschluss gewünscht; so bekommt der Leser praktisch keine Informationen zum weiteren Schicksal der im Text genannten Personen. So kann man nur hoffen, dass zumindest den einen oder anderen der Henker noch die Strafe ereilt hat.