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Kontroversen um das Wahlrecht. Argumente und Vorschläge für eine Reform

16.10.2017
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Autorenprofil
Anke Rösener, Diplom-Politologin

bundestag1 1827656 1280Glaskuppel des Reichstagsgebäudes. © KarosaAuch wenn es in der 18. Legislaturperiode und entgegen des dringlichen Appells des scheidenden Bundestagspräsidenten Norbert Lammert nicht zu einer Korrektur des Wahlrechts noch vor der Bundestagswahl 2017 gekommen ist, wird dieses Thema weiterhin aktuell bleiben. Neben der Diskussion über die Gefahr einer unbegrenzten Ausweitung der Bundestagssitze durch Überhang- und Ausgleichsmandate finden sich in der rechts- und politikwissenschaftlichen Literatur darüber hinaus verschiedene Vorschläge für eine Änderung des Wahlrechts. So geht es um Fragen der Ausweitung des Wahlrechts auf bislang vom Urnengang Ausgeschlossene, wie Kinder und Jugendliche oder Menschen mit Handicap. Es wird versucht, grundsätzliche Debatten mit herausfordernden Thesen über das Verhältnis von Wahlrecht, Demokratie und Politik anzustoßen. Zugespitzt wird dabei etwa gefragt, ob es angesichts des enormen Zuspruchs, den rechtspopulistische Akteure derzeit erfahren, nicht angezeigt sei, über einen Tauglichkeitstest für die Zulassung zur Wahl nachzudenken oder gar das allgemeine und gleiche Wahlrecht zugunsten einer Herrschaft der Wissenden abzuschaffen. Debattiert werden ferner Argumente für und wider die Einführung einer Wahlpflicht. In dieser Übersicht sind ausgewählte Artikel in Fachzeitschriften sowie online verfügbare Studien und Gutachten (in alphabetischer Reihenfolge) aufgeführt.

Matthias Bartke
Wahlrecht für alle Menschen unter Vollbetreuung!
Recht und Politik, 3/2017: 355-355

Der Autor setzt sich kritisch mit der Regelung auseinander, dass mit einer gerichtlich angeordneten Vollbetreuung automatisch ein Ausschluss vom Wahlrecht einhergeht. (Siehe auch das vom BMAS in Auftrag gegebene Gutachten zum Wahlausschluss unter Lang et al.)



Herbert Buchstein
Kinderwahlrecht. Das Los der Kinder
Katapult, April 2015

Der Autor spricht sich in der Frage des Kinderwahlrechts für eine „kreative Interpretation“ der Grundsätze des deutschen Wahlrechts aus.



Thorsten Faas / Arndt Leininger
Wählen mit 16? Ein empirischer Beitrag zur Debatte um die Absenkung des Wahlalters
Otto-Brenner-Stiftung, OBS-Arbeitspapier 41, 30. Juli 2020

Die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen vom 1. September 2019 boten den Wahlforschern Faas und Leininger den Anlass, „dem strittigen Thema ‚Wahlalter 16‘ empirisch auf den Grund zu gehen: zwei Wahlen, die am selben Tag in zwei benachbarten Bundesländern stattfanden – einmal mit einer Wahlaltersgrenze von 16, in Brandenburg, und einmal mit einer Grenze von 18 Jahren, in Sachsen. Die profunde Analyse zeichnet ein buntes Bild und erlaubt differenzierte Antworten: Eine Absenkung des Wahlalters auf 16 hängt letztlich von der konkreten Umsetzung und vor allem von begleitenden Maßnahmen ab.“ (Abstract)



Heiko Holste
Wahlrecht – Die Reformvorschläge der Parteien vor der Bundestagswahl
Recht und Politik 3/2017: 286-293

Der Autor hat die Programme der wichtigsten Parteien für die Bundestagswahl zum Thema Wahlrecht analysiert und zeigt, dass – mit Ausnahme der CDU/CSU – alle untersuchten Parteien Änderungen des Wahlrechts vorschlagen, sei es in Form einer Frauenquote für die Kandidaturen, einer Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel oder einer Begrenzung der Mandatsdauer.



Eckhard Jesse
Die Anregungen Norbert Lammerts zum Wahlrecht und zum Amt des Alterspräsidenten: gescheitert und erfolgreich
Recht und Politik 3/2017: 294-298

Eckhard Jesse würdigt in diesem Aufsatz die politische Karriere von Norbert Lammert und geht auf dessen Anregungen für eine Korrektur des novellierten Wahlrechts ein.



Michael Kaeding
Für eine Wahlpflicht
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 38-39/2017)

Angesichts der zunehmenden sozialen Spaltung der Wahlbeteiligung spricht sich Michael Kaeding für eine Wahlpflicht aus: „Eine Wahlteilnahmepflicht verhindert den ungleich größeren Einfluss der besser gestellten Schichten; sie verhindert, dass immer nur bestimmte soziale Schichten über die Zukunft eines Landes entscheiden. Wir sehen dieser Tage, dass Demokratie einer alltäglichen Verteidigung bedarf. Es ist daher sinnvoll, sich ernsthaft mit einer Wahlteilnahmepflicht auseinanderzusetzen.“



Sascha Kneip / Wolfgang Merkel
Garantieren Wahlen demokratische Legitimität?
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 38-39/2017)

Sinkende Wahlbeteiligung, Mitgliederverluste der Parteien und schwindendes Vertrauen in die politischen Repräsentanten stellen die Reputation demokratischer Wahlen zunehmend infrage. Vor diesem Hintergrund unterziehen Sascha Kneip und Wolfgang Merkel alternative direktdemokratische Beteiligungsformen einem Legitimitätstest. Ohne mögliche positive Wirkungen direktdemokratischer Verfahren verkennen zu wollen, halten sie fest: „Die Legitimationskraft deliberativer Verfahren in der Theorie ist groß, in der Praxis jedoch von beschränkter Güte“ – was nicht heiße, „dass mit den demokratischen Wahlen alles zum Besten stünde“. Angezeigt sei daher eine „Reformierung und Vitalisierung von Parteien, Parlament und Regierung selbst“.



Heinrich Lang / Anke S. Kampmeier / Kirsten Schmalenbach / Gerd Strohmeier, in Kooperation mit Stephan Mühlig
Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS Forschungsbericht 470, Juni 2016

„Die Studie beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Grenzen der in § 13 Nr. 2 und 3 Bundeswahlgesetz (BWG) geregelten Wahlrechtsausschlüsse. Sie betreffen Menschen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist (Nr. 2) sowie Menschen, die sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden (Nr. 3). Die Untersuchung verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. In ihrem sozialwissenschaftlichen Teil erfolgen empirische Erhebungen über die Anzahl der bundesweit von den genannten Wahlrechtsausschlüssen Betroffenen, deren soziodemographische Merkmale sowie der den Ausschlüssen zugrundeliegenden Krankheitsbildern. Außerdem werden im klinisch-psychologischen Teil die Betroffenenperspektive einbezogen, bestehende und mögliche Assistenzsysteme auch im internationalen Vergleich skizziert und der objektivierbare Bedarf nach Assistenz und die subjektiven Bedürfnisse hinsichtlich derartiger Unterstützungs- und Assistenzmaßnahmen dargestellt.

In den juristischen Teilen erfolgt eine Untersuchung der Wahlrechtsausschlüsse in völkerrechtlicher und – damit in Wechselbeziehung stehend – verfassungsrechtlicher Perspektive. Im Mittelpunkt der völkerrechtlichen Untersuchung stehen die Vorgaben durch die Behindertenrechtskonvention (BRK). Deren Vorschriften werden nach den Regeln der Auslegung völkerrechtlicher Verträge interpretiert und im Kontext der Meinung des BRK-Ausschusses sowie der politischen Dynamik in der internationalen Gemeinschaft diskutiert. [...] Abschließend zeigt die Studie 4 Handlungsoptionen auf.“ (Aus der Kurzbeschreibung)



Branko Milanović
Stimmgewaltig
IPG-Journal, 5. August 2019

Das Prinzip „eine Person – eine Stimme“ sei überholt, so der Autor. Zwar sei dies ein egalitäres Wahlrecht, „es lässt aber nicht zu, die Präferenzstärken zum Ausdruck zu bringen. Ein gewichtetes Abstimmungsverfahren, also eine Person – mehrere Stimmen, würde dieses Problem lösen.“



Viola Neu
Gegen eine Wahlpflicht
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 38-39/2017)

Viola Neu setzt sich mit den Argumenten, die für die Einführung einer Wahlpflicht vorgebracht werden, auseinander und sieht diese als wenig stichhaltig an. Zudem widerspreche „die spezifische Ausgestaltung der deutschen Demokratie und die Erfahrung aus zwei Diktaturen [...] der Einführung einer Wahlpflicht. Eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung würde die Legitimation der Demokratie eher untergraben als stärken.“



Markus Reiners
E-Voting in Estland: Vorbild für Deutschland?
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 38-39/2017)

Estland gilt in Sachen E-Voting als Vorreiter. Bereits seit 2005 ist dort die elektronische Stimmabgabe möglich. Markus Reiners erläutert die Chancen und Risiken, die mit E-Voting verbunden sind und fragt nach der Übertragbarkeit des elektronischen Wählens. Bezogen auf Deutschland sieht er die technischen und strukturellen Voraussetzungen für die Einführung von E-Voting noch nicht gegeben.



Hedwig Richter
Zum Wohle aller. Jason Brennan plädiert für die Abschaffung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts
Rezension zu Jason Brennan: Gegen Demokratie
Soziopolis, 13. September 2017

Nur wer einen Wissenstest besteht, soll wählen dürfen? Hedwig Richter setzt sich in ihrer Rezension mit dieser These einer Herrschaft der Wissenden des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers und Philosophen Jason Brennan auseinander.



Armin Schäfer / Thorsten Faas / Arndt Leininger / Sigrid Roßteutscher
Zu jung zum Wählen?
Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ, 8. September 2017

In ihrem Gastbeitrag in der FAZ plädieren die Autorinnen und Autoren für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

 

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Wieviel Abgeordnete verträgt unser Parlament? Die Diskussion über die Größe des Bundestags

Mit der letzten vom Bundesverfassungsgericht geforderten Wahlrechtsreform von 2013 hat sich eine Debatte über die Praktikabilität und die Folgen des neu eingeführten Ausgleichs von Überhangmandaten entfacht. Wie befürchtet wurde, hat sich der Deutsche Bundestag durch die Ausgleichsmandate enorm vergrößert. Nach der Bundestagswahl 2017 hat der Bundestag mit 709 Mandate seine Soll-Größe von 598 Abgeordneten weit überschritten. Über eine Reform des Wahlrechts wird weiter gestritten. Mit der folgenden Auswahl von Materialien werden der Hintergrund und die wesentlichen Argumente der Debatte aufgezeigt.
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