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Die Erfolgsrezepte der Rechtspopulisten. Diskursive Annäherungen anhand der Beispiele Schweiz und Niederlande

25.04.2017
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Autorenprofil
Dr. Max Lüggert

Rechtspopulistische Parteien sind in verschiedenen Staaten Europas schon seit einiger Zeit im Aufwind und schaffen es erfolgreich, Wähler*innen anzuziehen sowie die öffentliche Debatte zu beeinflussen. Zwei Bücher – „Rechtspopulismus und Hegemonie“ von Marius Hildebrand sowie „Rechtspopulismus im Spiegel der niederländischen Presse“ von André Krause – befassen sich nun mit unterschiedlichen Beispielen erfolgreicher populistischer Parteien. Marius Hildebrand analysiert in „Rechtspopulismus und Hegemonie“ die Erfolge der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und geht dabei auf die besondere Rolle von Christoph Blocher ein. Wichtig ist Hildebrand zu Beginn eine Klarstellung seiner Herangehensweise und somit auch seines Verständnisses von Populismus. Anders als manche Populismustheorien, die solche Bewegungen als unerwünschten demokratischen Unfall verstehen und davon ausgehen, dass es diesen gelingt, bestimmten bestehenden Gruppen eine politische Heimat zu bieten, orientiert sich Hildebrand in seiner Dissertation an der Populismustheorie von Laclau und verfolgt damit eine klar diskursive Herangehensweise. Unter dieser Prämisse erscheinen populistische Parteien wie die SVP nicht mehr als Unfall, sondern als ein zunächst neutral einzuschätzendes Ergebnis demokratischen Parteienwettbewerbs. Und die Gruppen, die sich populistischen Parteien anschließen, werden auch nicht als vorbestehend verstanden, sondern als erst durch die populistischen Bewegungen selbst konstruiert.

Hildebrand zeigt danach grundlegend auf, wie sich über lange Jahre ein politischer Konsens entwickelte, der neben der rechten SVP auch die linken Sozialdemokrat*innen (SP) wie die bürgerlichen Christdemokrat*innen (CVP) und Freisinnigen (FDP) im Rahmen einer Konkordanz einschloss. Diese Konkordanz hinterließ für einen populistischen Diskurs eine offene Flanke, nämlich die Konstruktion dieser unterschiedlichen Parteien als Spitze eines einheitlichen politischen Establishments. An dieser Stelle kommt Blocher ins Spiel. Hildebrand schildert, wie Blocher aus einer autonomen Position als Vorsitzender der SVP-Kantonssektion Zürich heraus eine Antwort auf die Krise der SVP formulierte. In den späten 1970er-Jahren war die SVP landesweit immer mehr ins Hintertreffen geraten und in erster Linie eine bäuerlich-kleinbürgerlich geprägte Klientelpartei mit höchstens regionalem Einfluss. Blocher versuchte jedoch, in Zürich ein Gegenmodell zu etablieren, wobei bereits der binäre diskursive Antagonismus sichtbar wurde, der sein politisches Wirken fortan bestimmen sollte. Diese Entwicklung ist als Prolog für die schweizweite Wirkung der SVP zu verstehen, die anhand von vier Ereignissen thematisiert wird: Ablehnung des Beitritts der Schweiz zum EWR durch eine Volksabstimmung im Jahr 1992, Sieg der SVP bei den Nationalratswahlen im Jahr 1999, Abwahl Blochers aus dem Bundesrat im Jahr 2007 und Annahme des Minarettverbots durch eine Volksabstimmung im Jahr 2009.

Für all diese politischen Wendepunkte stellt Hildebrand ausführlich dar, wie der Aufbau eines binären Diskurses gelang, unabhängig von der tatsächlich vorliegenden Sachfrage. In jedem Fall verstand sich Blocher beziehungsweise die SVP als Anwalt für die einfache, tüchtige Bevölkerung – konstruiert mit einem klaren Antielitismus, Antiintellektualismus und Antikosmopolitismus – gegen verschiedene Bedrohungen, sei es eine ausufernde, als sozialistisch titulierte Brüsseler Demokratie, gegen Muslime als nicht integrationsfähige Fremde oder allgemein gegen ein Kartell von Meinungsführern, Experten, Bürokraten und Politikern, angeführt von den Parteien der „Linken und Netten“ (270). Bei aller Schilderung der nachhaltigen Erfolge der Partei werden jedoch auch die Rückschläge und Probleme nicht ausgespart: Nach Blochers Abwahl spaltete sich die SVP und verlor gemäßigtere Wähler*innen an die neu gegründete Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) und im Vorlauf des Minarettverbots hatte Blocher zusehends Probleme, die von ihm vertretene klare Abgrenzung zu offen rechtsextremen und rassistischen Parteien und Gruppierungen aufrechtzuerhalten.

In der Studie finden sich weitere interessante Aspekte, von denen zwei exemplarisch zu erwähnen sind. Erstens schildert Hildebrand, wie die Reaktionsmuster der anderen Parteien auf die SVP entscheidend mit dazu beitragen, den von der SVP konstruierten Antagonismus zu bestätigen, und zweitens liefert er mit einem kurzen Überblick über Blochers Biografie einen guten Hinweis darauf, weshalb dieser Politiker angesichts seines Werdegangs und seiner persönlichen Erfahrungen besonders glaubwürdig seine Thesen vertreten kann. Ebenfalls anzumerken ist, dass die Analyse theoretisch sehr gut fundiert ist, was im Umkehrschluss jedoch den Effekt hat, dass durchgehend sehr viel soziologisches Fachvokabular verwendet wird, das Leser*innen mit wenig Vorkenntnissen in diesem Bereich an einigen Stellen durchaus Probleme bereiten könnte. Insgesamt bietet das Buch aber einen überzeugenden Überblick über die populistische Erfolgsgeschichte SVP und vertritt selbstbewusst die These, dass einfache Versuche der dauerhaften Ausgrenzung solcher politischen Bewegungen erstens wahrscheinlich wirkungslos sind und zweitens nicht unbedingt zur Stärkung der Demokratie beitragen.

Amsterdam ProtestFrauen demonstieren gegen den Rechtspopulismus, Amsterdam. 20. Januar 2017.
Foto: Guido van Nispen (Wikimedia Commons, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c1/Amsterdam_Women%27s_March_L1003020-Edit_%2832388176576%29.jpg, Lizenz: CC BY 2.0)
In dem Buch „Rechtspopulismus im Spiegel der niederländischen Presse“ betrachtet André Krause die Situation in einem anderen Nachbarland Deutschlands, das als „populistisches Laboratorium“ (13) bezeichnet werden kann. Auch Krause befasst sich in seiner Dissertation mit Diskursen, jedoch vorrangig aus der Sicht der Presse, indem er Texte aus unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften des gesamten Meinungsspektrums analysiert. Der Aufstieg populistischer Bewegungen wird zunächst in die politische Struktur der Niederlande eingebettet. Hierzu veranschaulicht der Autor den Prozess der Entsäulung, durch den sich die traditionell voneinander getrennten gesellschaftlichen Milieus der Niederlande auflösten, was ein Einfallstor für populistische Bewegungen geöffnet habe.

Untersucht wird der niederländische Populismus anhand von zwei Personen: Pim Fortuyn und Geert Wilders (inklusive ihrer Parteien). Dabei wird rasch deutlich, dass der Themenkomplex der drei Is – Immigration, Integration, Islam – für beide Strömungen konstitutiv ist und den Kern ihrer politischen Arbeit ausmacht. Die Analyse liefert in beiden Fällen interessante Ergebnisse. So werden beide Politiker von der Presse durchaus kritisiert, aber nicht dämonisiert und darüber hinaus gegen eine Zuordnung zum Rechtsextremismus in Schutz genommen. Aufschlussreich ist auch die Untersuchung der Pressemeinungen zum Volksverhetzungsprozess gegen Geert Wilders im Jahr 2009; dieser wird von allen Zeitungen konsequent abgelehnt und der erfolgte Freispruch folglich begrüßt. Zudem konnte auch in konservativen Blättern eine deutliche Kritik an dem Gericht herausgelesen werden. Bei diesem Thema ist sich die Presse jedoch stärker einig als die Bevölkerung, denn gerade bei Wähler*innen linker Parteien wird eine hohe Ablehnung für Wilders' Freispruch nachgewiesen.
Zuletzt zeigt Krause, dass die reflexhafte Ablehnung populistischer Positionen und Politiker*innen, die Hildebrand bereits für die Schweiz aufgezeigt hat, ebenfalls in den Niederlanden sichtbar ist. Zwar gibt es einige Artikel, die sich mit den politischen Problemen beschäftigen, die von Fortuyn und Wilders angesprochen werden. Ein Großteil der Debatte in der Presse bleibt jedoch eher oberflächlich und befasst sich mit den Personen und deren Unzulänglichkeiten oder mit vermeintlich taktischen Winkelzügen, die diesen Personen unterstellt werden. Im Fall Fortuyn sieht Krause dies darin begründet, dass dieser als national sichtbarer Politiker nur eine kurze Karriere hatte. Dass sich dieses Schema jedoch bei Wilders – einem Politiker, der nun schon über ein Jahrzehnt mit seiner Kritik an Islam und Einwanderung reüssiert – wiederholt, erscheint durchaus ärgerlich.

Beide Bücher nähern sich dem aktuellen Thema Rechtspopulismus über die Untersuchung unterschiedlicher Beispiele; beiden Autoren ist dabei gemeinsam, dass ihre Analysen von einer starken Nüchternheit geprägt sind und allgemein anklagende Mahnungen gegen den Rechtspopulismus fast überhaupt nicht vorkommen. Diese Unvoreingenommenheit findet sich nicht in allen Beiträgen, die sonst zu diesem Thema veröffentlicht werden, aber sie ist eine wichtige Voraussetzung dafür, das Phänomen Rechtspopulismus und dessen Erfolg in Europa besser zu verstehen. Rechtspopulistische Politik kann durchaus freiheitliche demokratische Ordnungen gefährden, sie ist jedoch eine politische Richtung, die von vielen Bürger*innen befürwortet und daher nicht ohne Weiteres verschwinden wird. Gerade deshalb sind Analysen wie die von Hildebrand und Krause wichtig, wenn es darum geht, rechtspopulistischer Politik nicht nur mit Moral, sondern auch mit Argumenten entgegenzutreten.

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Bildnachweis:

Foto: Guido van Nispen (Wikimedia Commons, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c1/Amsterdam_Women%27s_March_L1003020-Edit_%2832388176576%29.jpg, Lizenz: CC BY 2.0)

 

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Bibliografische Angaben

Marius Hildebrand

Rechtspopulismus und Hegemonie. Der Aufstieg der SVP und die diskursive Transformation der politischen Schweiz

Bielefeld, transcript Verlag 2017 (Kultur und Kollektiv 4)

 

André Krause

Rechtspopulismus im Spiegel der niederländischen Presse. Pim Fortuyn und Geert Wilders als Herausforderung für Journalisten

Baden-Baden, Nomos 2017 (International Studies on Populism 4)

 

Aus der Annotierten Bibliografie


Helmut Hubacher

Hubachers Blocher

Oberhofen am Thunersee: Zytglogge 2014; 227 S.; brosch., 26,- €; ISBN 978-3-7296-0880-1
Kein anderer Politiker hat die politische Debatte in der Schweiz derart geprägt wie Christoph Blocher. Blocher hat die Schweizerische Volkspartei (SVP), die zunächst als klientelpolitischer und kompromissbereiter Juniorpartner der beiden großen bürgerlichen Parteien agierte, in die Oppositionspartei schlechthin verwandelt. Unter seiner Ägide konnte die radikalisierte SVP ihren Stimmanteil nahezu verdreifachen und binnen weniger Jahre von der vierten Kraft zur deutlich stärksten Partei der Schweiz avancieren. In puncto Blocher scheint es weder ...weiterlesen


Zentrum für Niederlande-Studien (Hrsg.)

Jahrbuch 21/2010. Themenheft: Machtwechsel in Den Haag

Münster: Aschendorff Verlag 2011; 192 S.; 18,- €; ISBN 978-3-402-14204-2
Die Niederlande galten lange „als ein liberales Land mit einer toleranten Migrations- und Integrationspolitik“ (75), schreibt Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien der Universität Münster. Nun aber sehe es sich rechtspopulistisch herausgefordert. Wielenga benennt damit das zentrale Thema dieses Jahrbuchs und fasst essayistisch die Gründe für diese Herausforderung zusammen. Genannt wird zunächst der Wandel der politisch-kulturellen Verhältnisse seit den 1960er-...weiterlesen


Aus den Blogs

Andreas Schindel
Populismus, Demokratie und Emotionen. Eine Kritik des liberalen Rationalismus
Gastbeitrag, Wissenschaftsblog des Soziologie Magazins, 29. Mai 2017

Warum erscheint es so schwierig, den Aufstieg des Populismus zu erklären? Andreas Schindel sieht dies größtenteils im rationalistischen Politikbild des Liberalismus begründet. In dieser Vorstellung werden Emotionen als potenzielle Gefahr für die Demokratie gewertet. Dabei werde verkannt, dass Emotionen ein integraler Bestandteil der Politik sind und als Ausdruck demokratischer Praxis verstanden werden können. Diese Verkennung habe maßgeblich zum Erfolg des Rechtspopulismus beigetragen.


Blick auf Österreich

Domink Sinnreich
Building a Partisan Media Universe
Campaigns and Elections, 4. Oktober 2017

Dominik Sinnreich beschreibt, mit welchen Strategien die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mithilfe der sozialen Medien in den vergangenen Jahren eine eigene Medienmaschinerie aufbauen konnte.



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