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Russland und China – auf dem Weg zur strategischen Partnerschaft? Perspektiven unter asymmetrischen Vorzeichen

19.07.2018
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Prof. Dr. Hannes Adomeit

Matrioshka place Manzhouli China An der Grenze Chinas zu Russland: Der Matrjoschka-Platz in Manjur. Die Stadt in der autonomen Region Innere Mongolei gilt als eine Drehscheibe für den Handel mit Russland. Foto: Liu Xianyong (Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Matrioshka_place_Manzhouli_China_(35217495).jpg / Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license)

 

Nach der Annexion der Krim, dem Ausbruch des Konflikts in der Ukraine und der Verhängung westlicher Sanktionen gegen Russland im Jahr 2014 verkündete Russland lautstark seine „Wende nach Osten“, eine Neuausrichtung seiner Außen- und Wirtschaftspolitik weg vom Westen. Die hier vorgestellten Beiträge befassen sich mit den Perspektiven der Kooperation mit der Volksrepublik China.

Die Bedeutung von „strategischen Partnerschaften“

Für Russland soll eine engere Partnerschaft mit China eine lebensfähige Alternative zu den Beziehungen zum Westen bieten. Michal Makocki, Senior Visiting Fellow am Mercator Institut für Chinastudien (MERICS) und Senior Associate Analyst am Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union (EUISS), sowie Nicu Popescu, Senior Analyst ebenfalls am EUISS, haben sich in ihrem 51 Seiten umfassenden Chaillot Paper mit dieser Partnerschaft befasst.

Die Autoren gehen eingangs auf den Begriff der „strategischen Partnerschaft“ ein und stellen fest, dass China derartige Partnerschaften mit über 50 Ländern und Organisationen geschlossen hat, die von der EU als Ganzes bis nach Angola, Belarus und Venezuela reichen. Um guten Willen zu zeigen, akzeptiere Peking die meisten Anfragen für solche Partnerschaften, aber nicht alle hätten das gleiche Gewicht. Es gebe etwa ein halbes Dutzend Kategorien unterschiedlicher Intensität, Tiefe und Bedeutung. Von diesen sei die höchste Form die von China so benannte „umfassende strategische Partnerschaft der Koordinierung“, die Russland vorbehalten sei.

Russland werde aus vielerlei Gründen hervorgehoben. So gebe es zunehmend Parallelen, wie die Eliten der beiden Länder die Welt sehen. In ihrer Weltanschauung würden die Vereinigten Staaten als schwindende Supermacht wahrgenommen, China und Russland hingegen als aufstrebende Mächte, denen größerer Status und Einfluss in der internationalen Politik gebühre. Es gebe aber noch weitere Gemeinsamkeiten. Dazu gehörten die wahrgenommene beziehungsweise vom Kreml so dargestellte westliche Feindseligkeit sowie die Besorgnis vor militärischem und wirtschaftlichem Containment. China fühle sich im Südchinesischen Meer unter Druck gesetzt, Russland von der NATO in der Ostsee. China sehe sich dem Aufbau von anti-ballistischen Raketensystemen in Südkorea und Japan ausgesetzt, Russland in Rumänien und Polen. Und während sich Moskau einer nach Osten expandierenden NATO gegenübersehe, schaue Peking auf eine verstärkte Präsenz der USA in Asien und auf Japans Verfassungsreform, die seine militärische Handlungsfreiheit und Macht stärken solle.

Als starke Triebkraft für Chinas Hinwendung zu Russland glauben die Autoren unter Hinweis auf Yan Xuetong, einen der bedeutendsten und einflussreichsten strategischen Denker Chinas, „strategischen Pessimismus“ zu erkennen. Dieser gehe auf die Wahrnehmung einer im Entstehen begriffenen bipolaren Welt zurück, die durch einen scharfen Gegensatz zwischen China und den USA gekennzeichnet sei. China brauche infolgedessen Verbündete und sehe keine bessere Möglichkeit als den Ausbau der Beziehungen zu Russland. Die Rivalität mit den USA müsse jedoch nicht zwangsläufig zum Krieg führen. Yan Xuetong argumentiert: „Wenn die Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion wie ein Boxkampf mit Gewalt eine reguläre Erscheinung war, wird der Wettbewerb zwischen den USA und China eher wie ein Fußballspiel sein, bei dem Gliedmaßen gelegentlich kollidieren, aber Gewalt nicht die Hauptform der Rivalität ist. Das Verhältnis USA-China wird in erster Linie ein Team-Wettbewerb sein, dessen Ziel es ist, die Unterstützung anderer Länder zu gewinnen. Daher braucht das Team China eine ruhige nördliche Grenze, die es ihm ermöglicht, sich auf Herausforderungen im Süden und Osten zu konzentrieren.“

Asymmetrien im Verhältnis zwischen Russland und China

Marcin Kaczmarski vom Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten sieht das ähnlich. Er geht davon aus, dass sich die russisch-chinesischen Beziehungen im vergangenen Jahrzehnt unter den Bedingungen einer doppelten Asymmetrie entwickelt haben. „Erstens hat sich die Kluft zwischen den materiellen Fähigkeiten beider Staaten − gemessen am BIP, Handel, Investitionen und Militärhaushalten − stetig zugunsten Chinas vergrößert. Zweitens brauchte Russland Chinas Unterstützung mehr als China Russland benötigte.“ Hier ist ein gewisser Widerspruch festzustellen, denn im Titel der Studie ist davon die Rede, dass sich Asymmetrien im beiderseitigen Verhältnis abgeschwächt hätten. Dafür gibt der Verfasser aber keinen Beleg.

Die Asymmetrie in der Sicherheitspolitik, so Kaczmarski, gehe auf die Zeit zurück, in der China ein relativ gutes Verhältnis zu den USA unter Präsident Barack Obama pflegen und von der offenen Weltordnung habe profitieren können. China habe es daher vermieden, Partei zu ergreifen, und Russland nicht bei seiner revisionistischen Politik gegenüber dem Westen unterstützt. Die unter Präsident Donald Trump zu beobachtende Änderung des US-amerikanischen Ansatzes gegenüber China habe aber die politischen Asymmetrien verringert.

Diese Wertung deckt sich in gewisser Weise mit dem von Yan Xuetong festgestellten „strategischen Pessimismus“. Dennoch stellt sich die Frage, wie weit sich die sicherheitspolitischen Asymmetrien in den russisch-chinesischen Beziehungen tatsächlich abgeschwächt haben und ob sich Russland in seiner „Partnerschaft“ mit China nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch in eine Juniorenrolle manövriert hat. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls Makocki und Popescu. Trotz des optimistischen Tonfalles der offiziellen Äußerungen werde die Beziehung aus mehreren fundamentalen Gründen nicht der Rhetorik gerecht. Jede Seite hege unterschiedliche Erwartungen und habe unterschiedliche Interessen. Die Synergien zwischen den Volkswirtschaften beider Länder seien begrenzt. Die Komplementaritäten zwischen Russlands Rohstoffreichtum und Chinas energieintensivem Wachstum würden ebenfalls übertrieben. Die wirtschaftlichen Gravitationszentren dieser beiden Nachbarn lägen geografisch sehr weit voneinander entfernt, zudem seien die sich widersprechenden geopolitischen Interessen insbesondere in Zentralasien ausgeprägt. Russland nehme dieses Gebiet als seinen eigenen Hinterhof wahr, aber China umwerbe es im Rahmen seiner ehrgeizigen „Belt and Road“-Initiative mit einem Versprechen von Investitionen. Insgesamt sei die Herstellung eines Bündnisses wie auch einer tiefgreifenden strategischen Ausrichtung „nahezu unmöglich“. Diese Situation werde von beiden Seiten höflich gehandhabt, aber in Wahrheit sei der Kampf hart − „besonders für Russland“.
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Besprochene Literatur

Michal Makocki and Nicu Popescu
China and Russia: An Eastern Partnership in the Making?
European Institute for Security Studies (EUISS), Chaillot Paper No. 140, Dezember 2016

Marcin Kaczmarski
The Decreasing Asymmetry in Russia-Chinese Relations: The Consequences of the Western Policy Shift towards China
Finnish Institute of International Affairs (FIIA), 28. Februar 2018

Paul Stronski / Nicole Ng
Cooperation and Competition: Russia and China in Central Asia, the Russian Far East, and the Arctic
Carnegie Endowment for International Peace, 28. Februar 2018

Paul J. Kohlenberg / Nadine Godehardt
Chinas globale Konnektivitätspolitik: Zum selbstbewussten Umgang mit chinesischen Initiativen
Stiftung Wissenschaft und Politik (Berlin), SWP-Aktuell 2018/A 18, März 2018

Yukon Huang
China’s Economy Is Not Normal. It Doesn’t Have to Be
The New York Times, 13. März 2018

Der vollständige Beitrag ist erschienen in: SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 2, Heft 2, Seiten 178–181, ISSN (Online) 2510-2648, ISSN (Print) 2510-263X, DOI: https://doi.org/10.1515/sirius-2018-2008

 

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Literatur

Helge Blakkisrud / Rowe Helge / Elana Wilson (Eds.)
Russia's Turn to the East. Domestic Policymaking and Regional Cooperation
Basingstoke, Palgrave Pivot 2018 / open access


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