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Ahmad Mansour: Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache

12.10.2018
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Wahied Wahdat-Hagh
Frankfurt a. M., S. Fischer 2018

Ahmad Mansour, palästinensischer Israeli und deutscher Staatsbürger, will die Geschicke der staatlichen Instanzen zum Besseren lenken und die Geflüchteten zu Demokraten erziehen. Zur Erreichung dieser Ziele macht er Tabula rasa und nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Buch hat er allen Kindern im Land gewidmet – in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Publikation, vielmehr ist sie leicht lesbar und lehrreich. Wer erfahren will, welche Fehler in der Integrationspolitik gemacht werden, dem sei sie empfohlen. Der Autor formuliert in einfachen Sätzen, was Migranten normativ leisten sollten, um von der deutschen Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden. Die Beispiele stammen alle aus der Praxis seiner Arbeit.

Der Psychologe Mansour hat eine positive Motivation und fühlt sich verpflichtet, mehr zu leisten, „aktiv aufzuklären, aktiv die Menschen zum Nachdenken zu bringen“ (218). Er setzt sich für ein liberales, freiheitliches und friedliches Miteinander ein und schämt sich, dass der Terrorist Anis Amri im Namen seiner Religion am 19. Dezember 2016 einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche verübte.

Der Autor weiß, was Radikalisierung bedeutet, und bietet Workshops beispielsweise in Gefängnissen an, um Menschen, die in einer schwierigen Phase nach Orientierung und Halt suchen, zu helfen. In seinen Workshops thematisiert er Problemfelder wie „Gleichberechtigung, starres Islamverständnis, patriarchalische Väter, Gottesbilder, Sexualität, Männlichkeit, religiöse Ideologien, Missionierung, Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Opferhaltung“ (13), um Extremismus und Radikalisierung Einhalt zu gebieten.

Ein Credo seines Erfolges ist, dass er auf „Augenhöhe“ (14) mit den Menschen spricht. Es schaffe Vertrauen, dass er und seine Kollegen selbst Migranten seien, oft die gleiche Sprache sprechen und manchmal sogar die gleichen Namen tragen. Er will den Gefangenen Alternativen aufzeigen, die „auf Mündigkeit, Liebe, Kommunikation und Interesse basier[en]“ (19).

Sein Hauptaugenmerk richtet Mansour auf die Gruppe der Muslime, dabei verteidigt er demokratische Werte. Er ist der Meinung, dass klar kommuniziert werden müsse, „was wir von Mitgliedern dieser Gesellschaft erwarten und wie wir das Grundgesetz im Alltag anwenden“ (118). Viele Menschen, die neu nach Deutschland gekommen seien, wüssten nicht, was Gleichberechtigung, Säkularität und Meinungsfreiheit bedeuteten.

Mansour diskutiert auch den Begriff Leitkultur, der gegenwärtig negativ besetzt sei. Diesen lehnt er dann ab, wenn damit gemeint sei, dass alle die gleiche Kleidung tragen, alle Bier trinken sollten und in jedem Amt ein Kreuz hängen müsse. Wenn allerdings Leitkultur Vielfalt bedeute und zwar so, dass die Werte des Grundgesetzes für alle Menschen bindend gelten, befürworte er sie. Horst Seehofers Aussage „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ (30) kritisiert Mansour ebenso wie Angela Merkels pauschale Äußerung, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Denn auch die muslimischen Bürger*innen haben das Grundgesetz zu respektieren. Die in Deutschland lebenden Muslime sollten nach einem zukunftsorientierten Plan in die Wertegemeinschaft integriert werden. Es gelte, die „im Grundgesetz verankerten demokratischen Werte“ (32) zu vermitteln, damit Integration langfristig funktionieren könne.

Der Autor rügt interkulturelle Trainer, die Muslime unkritisch wie Kuscheltiere beschützten, weswegen er von einem „Kuscheltier-Phänomen“ (57) spricht. Es sei kein Rassismus, wenn das Verhalten von jungen Männern, die Frauen diskriminierten, deutlich kritisiert werde. Sozialarbeiter, die davon ausgingen, dass man Menschen, die hierher kommen, nicht die vorherrschenden Werte aufzwingen dürfe, und vom „Kulturkolonialismus“ (61) sprechen, bewertet er kritisch. Vielmehr könne Integration nur gelingen, wenn offen über Probleme und Differenzen gesprochen werde. Dabei sollten nicht die Unterschiede zelebriert werden, sondern es gelte, Regeln für das Zusammenleben festzulegen.

Mansour kritisiert außerdem die Muslimbruderschaft in Deutschland, die zwar nicht gewalttätig sei, aber Positionen vertrete, die „mit den Grundsätzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“ (73) seien. Sie würden sich dem Staat als Sprachrohr der Muslime anbieten, sich nach außen offen und tolerant geben, aber nach innen totalitäre Tendenzen aufweisen.

Der Staat sollte mehr liberale Muslime fördern anstatt die konservativen muslimischen Verbände zu finanzieren, so die Aufforderung des Autors. Das Bundesinnenministerium aber habe 2014 alle kritischen Stimmen von der Islamkonferenz „ausgeladen“ (81).

Als liberaler Muslim fordert der Autor, dass „weder Flüchtlinge noch Muslime in der Opferrolle“ (90) zu sehen seien und sie nicht als Schützlinge betrachtet, sondern als Bürger*innen mit gleichen Rechten und Pflichten wahrgenommen werden sollten.

Integration könne nicht gelingen, wenn die Menschen keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und perspektivlos auf die Abschiebung warteten. Er geht auf die Situation von Palästinensern ein, die lediglich einen „Duldungsstatus bekamen und in der ständigen Ungewissheit lebten, was mit ihnen passieren würde“ (166). Diese Menschen würden nicht ankommen und diese Situation berge ein Gewaltpotenzial.

Mansour bezeichnet sich selbst auch als Religionskritiker und verlangt von den Flüchtlingen, dass sie sich den in Deutschland vorherrschenden Werten anpassen. Zwangsheiraten, Kinderehen oder Polygamie seien eindeutig abzulehnen, aber er geht davon aus, dass manche Frauen das Kopftuch als etwas betrachten, das zu ihrer Identität gehört: „Ich akzeptiere das – bei erwachsenen Frauen. Bei Kindern und Heranwachsenden sehe ich das Kopftuch allerdings als sehr problematisch an.“ (192)

Er kritisiert dennoch die religiöse Komponente des Kopftuchs, insbesondere die Behauptung, dass Frauen, die freiwillig ein Kopftuch tragen, emanzipiert seien. „[J]ede Religion, in der an einen patriarchalen, strafenden Gott geglaubt wird, ist dogmatisch und somit eher das Gegenteil von – feministischer – Emanzipation, Freiheit oder Unabhängigkeit.“ (193)

Die Frau werde als Dauerobjekt der männlichen Begierde betrachtet, der Mann als Wesen, das sich nicht kontrollieren lasse.

Seine Anleitung zur Integration besteht aus zehn Schritten: Er verlangt von den nach Deutschland gekommenen Menschen, dass diese bereit sein müssen, „manches, das im Herkunftsland gilt, in Frage zu stellen“ (272). Die Integration solle ohne politische Ängste angegangen und die Integrationsarbeit standardisiert werden, damit eine „effektive Praxis möglich“ (285) werde. Die Sozialarbeit müsse reformiert, ein Bundesgipfel zur Vermittlung der Werte des Grundgesetzes einberufen werden. Überfällig sei zudem ein Einwanderungsgesetz, das spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre gefordert wird. Der Staat solle entschiedener auftreten und beispielsweise die Schulpflicht konsequent durchsetzen. Ferner fordert er die „aktive Förderung einer Kultur der Inklusion“ (300). Der Staat solle die innerislamische Debatte fördern. Resümierend lässt sich festhalten, dass Ahmad Mansour eine radikale Umerziehung aller Menschen zu Demokraten fordert, was mit staatlicher Hilfe erreicht werden müsse.

 

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Medienschau

Weitere Rezensionen des Buches von Ahmad Mansour

 

Conrad Lay:
Ahmad Mansour: Klartext zur Integration
SWR2, Sendung vom 5. Oktober 2018

 

Claus Leggewie
Werdet vernünftig. Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour bieten in ihren Büchern gute Argumente gegen religiöse und völkisch-nationalistische Extremisten
Die Tageszeitung, 11. September 2018

 

Andreas Main
„Klartext zur Integration“
Deutschlandfunk, 20. August 2018

 

Regina Mönch
„Klartext zur Integration“: Zerrieben zwischen zwei Kulturen
FAZ.net, 31. August 2018

 

Johannes Schneider
Die Bringschuldigen abholen
Zeit-Online, 7. September 2018


Essay

Ahmad Mansour:
Wir sind nicht eure Kuscheltiere. Das linksliberale Spektrum tut sich schwer mit kritischen Muslimen. Es erklärt sich zum Beschützer konservativer Muslime und macht sie so zu Opfern
Die Tageszeitung, 9. Juli  2016


 

zum Thema
Integrationspolitik in Deutschland

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