Solidarität und Subsidiarität. Die EU muss im Katalonien-Konflikt auf der Seite Spaniens stehen
20.12.2017
Es ist ein beliebtes Verfahren der Euroskeptiker, von der Europäischen Union zu verlangen, was sie aufgrund ihrer politischen Verfassung und Rechtsordnung nicht leisten kann, um sie dann wegen Nichtstun und Verrat an ihren Werten anklagen zu können. In Bezug auf die Katalonien-Krise haben aber auch viele wohlmeinende Beobachter – sei es aus Unkenntnis des Sachverhalts oder aus fehlgeleiteter Sympathie für das kleine, nach Unabhängigkeit strebende Katalonien – in den Ruf eingestimmt, „Europa“ müsse in der Sache vermitteln und den Katalanen helfen. Aber wie soll Europa vermitteln zwischen der spanischen Regierung, die eine Vermittlung ablehnt, da es sich um eine innere Angelegenheit Spaniens handelt, und den katalanischen Separatisten, die von einer Vermittlung auf rechtsstaatlicher Grundlage nichts wissen wollen? Oder soll die Europäische Union die Spanier und/oder die Katalanen zur Räson bringen? Welches Organ soll dabei tätig werden? Auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchen Instrumenten?
Gewiss, die Europäische Union wird immer mehr – neben der Union der Staaten, die sie seit Anfang an ist und weiterhin bleiben wird – auch zu einer Union der Bürger, allerdings vorerst nur insoweit die Bürger vom Recht und Handeln der Union unmittelbar betroffen sind und über das Europäische Parlament an der Gesetzgebung mitwirken.
Wenn sich die Separatisten in Katalonien darauf berufen, sie seien Bürger der Europäischen Union und hätten deshalb ein Recht darauf, deren Vermittlung und Schutz gegen Entscheidungen der spanischen Regierung in Anspruch zu nehmen, übersehen sie, dass sie erst dadurch Bürger der Union sind, dass sie Bürger des EU-Mitgliedstaats Spanien sind. Und die katalanischen Mitglieder im Europäischen Ausschuss der Regionen gehören zur spanischen Delegation und repräsentieren Katalonien als eine Region Spaniens. Die Forderung eines Eingreifens der EU zugunsten der Sache Kataloniens kann daraus nicht abgeleitet werden.
Dabei geht es in diesem Fall nicht primär um die Verteidigung des Nationalstaats, sondern vielmehr um die des Rechtsstaats und damit der Demokratie. Denn es gibt keine Demokratie außerhalb der Rechtsstaatlichkeit. Wie weit sich die katalanischen Separatisten bereits von der Demokratie entfernt haben, zeigt sich in der Arroganz, mit der sie bei ihren Entscheidungen auf dem Weg zur Erklärung der Unabhängigkeit die Rechte der parlamentarischen Opposition missachtet und den Willen der Bevölkerung, der gegen das Abenteuer der Abspaltung von Spanien gerichtet ist, ignoriert haben.
Im Übrigen handelt es sich bei diesem Konflikt um eine Frage der Solidarität, zu der die Union ihrem Mitgliedstaat Spanien gegenüber verpflichtet ist. Und ebenso geht es auch um eine Frage der Subsidiarität: Die Europäische Union darf und kann sich nicht einmischen, jedenfalls nicht ohne Aufforderung seitens des betreffenden Mitgliedstaats, wenn im Rahmen der Verfassungsordnung eines Mitgliedstaats ein Problem auftritt; andernfalls würde sie leitende Prinzipien der europäischen Verfassung verletzen.
Die spanische Regierung hat in ihrem Verhalten gegenüber Katalonien im Laufe der vergangenen Jahre gravierende politische Fehler gemacht. Ihr zentralistisches Denken hat zu einem Mangel an Sensibilität und zu unklugen, überzogenen Maßnahmen geführt, die manch katalanische Reaktion erklären, Rechtsbrüche aber nicht rechtfertigen. Dem steht gegenüber, dass die katalanische Führung, die jetzt wegen wiederholter Verfassungs- und Rechtsbrüche abgesetzt ist und sich vor Gericht rechtfertigen muss, aufgrund ihrer Uneinsichtigkeit nicht in der Lage war, eine politische, rechtskonforme Lösung des Konflikts zu konzipieren.
Ihr seltsames Verhalten könnte darauf hindeuten, dass sie von Anfang an auf Provokation setzte – in der Erwartung, dass die Reaktion der spanischen Regierung ihr die Legitimation für den revolutionären Akt der Unabhängigkeitserklärung liefern würde. Denn die Reaktion der spanischen Regierung und Justiz war vorhersehbar, da sie sich auf der Linie der in Spanien, also auch in Katalonien geltenden Verfassungs- und Rechtsordnung bewegte. Es kann den führenden Leuten des katalanischen Nationalismus nicht entgangen sein, dass ihr Verhalten die Konsequenzen nach sich ziehen würde, die sie nun beklagen. Sie sind weder Opfer undemokratischer Machenschaften der spanischen Regierung noch werden sie unterdrückt oder ungerechtfertigt verfolgt.
Das katalanische Beispiel verweist auf ein allgemeines Problem der Organisation moderner Staaten, die aufgrund ihrer regionalen Vielgestaltigkeit nicht in angemessener Weise von der Zentrale zentral verwaltet werden können, und deren Einheit die Zentralgewalt allein nicht mehr garantieren kann. Das gilt insbesondere für die Staaten mit Regionen, die über eine eigene historische und kulturelle Identität verfügen. Wie sich auch in Großbritannien, Italien und Frankreich zeigt, reicht eine Regionalisierung in Verbindung mit der Gewährung der Möglichkeit autonomer Verwaltung nicht aus. Nur eine Reorganisation im Sinne des Föderalismus wird den nach wie vor zentralistisch organisierten Staaten die Flexibilität im Inneren und die Einheit garantieren, die ihnen durch das Festhalten an einem überholten Zentralismus verloren zu gehen drohen.
Dieser Text wurde bereits in englischer Sprache veröffentlicht:
Thomas Jansen
Catalonia, Madrid and Europe. Respecting the rule of law and possible Federal response
Servizio Informazione Religiosa, 24. November 2017