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Uwe Backes / Steffen Kailitz (Hrsg.): Sachsen – Eine Hochburg des Rechtsextremismus?

03.12.2020
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Autorenprofil
Vincent Wolff, M.P.P.
Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht 2020

„Seit langer Zeit liefert Sachsen Schlagzeilen als Hochburg des Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus“ (7), führen Uwe Backes und Steffen Kailitz in diesen Sammelband ein. Ist das östliche Bundesland also ein Zentrum des Rechtsextremismus? Dieser Frage geht der Sammelband zwar in der Gesamtheit nach, jedoch wird in jedem Beitrag ein Aspekt abgehandelt. Dies führt am Ende des Buches allerdings zu dem ernüchternden Ergebnis der Herausgeber: „[D]ie Ergebnisse des Bands sind nicht leicht auf einen Nenner zu bringen“ (390). Diesem Fazit muss man aber nicht zwangsläufig folgen.

So seziert Bernd Wagner kenntnisreich die Ursprünge rechter Umtriebe in der Spät-DDR. Die dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse hätten den Boden dafür bereitet. Vor allem in der Endzeit des Realsozialismus habe die rechte Szene von immer schwächeren staatlichen Strukturen profitiert. Wagner sieht zudem ideologische Parallelen zwischen den dortigen Neonazis und der Stasi – eine Hufeisen-These, die sich konstant durch den Sammelband zieht.

Sachsen wird in dem Sammelband als Hort des intellektuellen Rechtsextremismus erkannt und zudem wird die Rolle des NSU in Sachsen umfassend thematisiert. Außerdem sei das Bundesland bei politisch motivierter Kriminalität und rassistischen Ausschreitungen und Krawallen führend. Dazu gesellten sich ein hohes Demonstrationsaufkommen, die Entstehung der „rechtspopulistisch agierenden Protestbewegung“ (62, sic!) Pegida und der Wahlerfolg der AfD. Ein besonderes Problem in dem Bundesland sei laut Alexander Yendell und Gert Pickel die „besonders ausgeprägte Skepsis gegenüber [dem Islam]“ (74). „Ein zweiter Grund für die ungünstige Sicht auf Sachsen ist, dass in Sachsen rechtsextreme Einstellungen eher in Gewalttaten münden“ (79). Dies alles sei kein rein ländliches Problem, auch bei gewaltförmigen Ausschreitungen in Dresden und Chemnitz hatte die AfD die Nase vorn, „ungewöhnlich für eine rechtsextreme Partei“ (185).

Laut Uwe Backes zeige sich dies vor allem am rechten Flügel der AfD „mit ihrer teils schrillen Asylkritik“ (228). Darauf aufbauend sei zudem die Kritik an den Sicherheitsbehörden falsch und der Vorwurf, die sächsischen Behörden seien auf dem rechten Auge blind, Teil von „grassierenden Verschwörungstheorien“ (229).

Die Verteidigung Sachsens haben sich einige Autoren in dem Sammelband auf die Fahnen geschrieben. Wiederholt wird konstatiert, das Bundesland liege zwar weit über dem Bundesdurchschnitt hinsichtlich rechter Gewalt, rassistischen Einstellungen, rechter Mobilisierung, rechten Konzerten, rechter Vernetzung – kurz: allen Aspekten des Rechtsradikalismus. Dennoch stehe Sachsen im Vergleich zu anderen neuen Bundesländern gar nicht so schlecht dar, das müsse man auch erwähnen.

Damit einher geht wiederholt eine Bagatellisierung rechter Gewalt. So schreiben Julia Schuler und Oliver Decker: „An den Ausschreitungen und fremdenfeindlichen, antisemitischen Gewalttaten […] waren neben organisierten Rechtsextremen ebenfalls Einwohner beteiligt“ (253). Die Unterteilung aus quasi unschuldigen Anwohnern und von außen kommenden Neonazis ist Teil des tief sitzenden Missverständnisses über die Organisation und Verwurzelung rechter Gruppen in Sachsen.

Diese werden von Tom Mannewitz zudem als „asylkritische Extremisten“ (259) relativiert. „Demokraten wie Extremisten standen vielfach Seit‘ an Seit‘, als sie ihren Unmut über die Flüchtlinge und die Politik der Bundesregierung kundtaten“ (259). Diese Bagatellisierung von Neonazis und Relativierung von Brandanschlägen auf Unschuldige lässt einen ratlos zurück. Mannewitz zieht zudem die Statistiken des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums e. V. (apabiz) in Zweifel, das diese Vorfälle auflistet: „Das apabiz schlüsselt nicht auf, wie viele der Anti-Asyl-Demonstrationen erkennbare rechtsextreme Bezüge aufwiesen“ (264). Laut Mannewitz sei die Lage unübersichtlich: „Der offene Schulterschluss mit Bürgerinitiativen wie auch deren verdeckte Unterwanderung und Mottos, die vordergründig weder an Rassismus und Nationalismus erinnerten, wiesen auf die intensivsten Mühen [der Rechtsextremen] hin, aus der politischen Isolation herauszutreten“ (267). Hier stellen sich gleich mehrere Fragen: War das jetzt ein offener Schulterschluss (Teaser: natürlich) oder eine verdeckte Unterwanderung? Woher die Illusion kommt, Rechtsextreme seien politisch isoliert, muss man sich nach den anderen Beiträgen in dem Sammelband auch fragen.

Den rechts motivierten Mordanschlag auf eine Schutzunterkunft durch Christian O. kommentiert Anna-Maria Haase mit den Worten: „Unklar ist, ob es sich bei der Tat um eine durch Alkohol enthemmte Kurzschlussreaktion handelte (Aussage des Täters) oder er sich ideologisch verblendet in der Pflicht zum Handeln sah“ (292). Wer kennt es nicht: Einmal ein paar Bier zu viel getrunken, dann an der Tankstelle Brandsätze gebaut und mehrere Kilometer zu Fuß zur Flüchtlingsunterkunft gegangen, um dort das Gebäude in Brand zu stecken (?) – so möchte man angesichts dieser verstörend wirkenden Einschätzung zugegebenermaßen etwas polemisch einwenden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Analyse des Problems in der Breite gut angegangen wurde. Durch das Abhandeln der einzelnen Aspekte lässt sich der Hochburg-Charakter Sachsens eigentlich nicht leugnen – obwohl die Herausgeber mit diesem Fazit zögern. Insgesamt fehlt ein roter Faden: Die jeweiligen Beiträge variieren stark und arbeiten oftmals redundante Themen ab, wie gleichförmige Definitionen von Rechtsextremismus. Zudem stößt die wiederholte Gleichsetzung von Antisemitismus und Islamophobie negativ auf, an dieser Stelle wäre eine tiefere Befassung mit den Kontinuitäten des Antisemitismus hilfreich gewesen. Insgesamt sind die Beiträge des Sammelbandes sehr deskriptiv und liefern wenig qualitative Erklärungen für die sächsischen Zustände. Die Wiederholung des Begriffs der doppelten Diktatur verrät zwar viel über die Autoren der Beiträge, trägt aber sicherlich nicht zur Klärung dieser Fragen bei.

 

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Essay

Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Ostdeutschland. Entstehung und Entwicklung

Die AfD hat, wie die Bundestagswahl gezeigt hat, ihre Hochburgen im Osten Deutschlands, zu beobachten ist dort auch eine aktive rechtsextreme Szene. Für diese im Vergleich zum Westen deutlich ausgeprägteren Phänomene sind zwei miteinander verknüpfte Dimensionen verantwortlich, schreibt Klaus Schroeder: die Nachwirkungen der politischen Sozialisation in der DDR sowie die durch die Wiedervereinigung entstandenen sozialen Umbruchprozesse. Zudem waren Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auch in der DDR weit verbreitet, wie seit der Öffnung der Archive nachzulesen ist.
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Rezension

Matthias Quent

Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können

München, Piper Verlag 2019

Wer den Rechtsradikalismus verstehen will, müsse seine Kontinuität berücksichtigen, so Matthias Quent. Rechtsradikale seien schon immer Teil dieses Landes gewesen, aber von Politik und Gesellschaft nicht ausreichend ernst genommen worden. Zudem habe sich die Qualität rechter Gewalt verändert. Ignoranz gegenüber dem Rechtsradikalismus sei „lebensgefährlich“. Quent legt konkrete Vorschläge vor, wie die Rechte bekämpft werden könnte. Eine besondere Verantwortung sieht der Autor bei den politischen Vorbildern in den Parlamenten und fordert eine klare politische Abgrenzung, um die wehrhafte Demokratie vor ihren Feinden zu schützen.
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Information

Sächsisches Staatsministerium des Innern, Landesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.)
Verfassungsschutz, Rechtsextremismus

 

Tobias Wilke
Verfassungsschutzbericht 2019. Zahl der Rechtsextremisten in Sachsen deutlich gestiegen
MDR, 3. November 2020


Lektüre

Michael Kraske
Der Riss. Wie die Radikalisierung im Osten unser Zusammenleben zerstört.
Ullstein Verlag, Berlin 2020


Aus der Annotierten Bibliografie

Kerstin Köditz

Und morgen? Extreme Rechte in Sachsen

Berlin: Verbrecher Verlag 2009; 223 S.; brosch., 14,- €; ISBN 978-3-940426-17-8
Gleich zu Beginn des Buches verdeutlicht die Autorin, was das Besondere an dieser Publikation ist, bzw. was sie an anderen Publikationen über die extreme Rechte in Sachsen stört. Einerseits gebe es die außenstehenden Politikwissenschaftler, insbesondere Jesse und Patzelt, andererseits beobachtende Journalisten. Beide professionellen Erklärergruppen hätten gemeinsam, dass sie das Thema nur punktuell und oberflächlich behandelten. Die Autorin hingegen – sie ist Sprecherin für antifaschistisc...weiterlesen

 

Henrik Steglich

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Wiesbaden: Springer VS 2016 (Edition Rechtsextremismus); 509 S.; softc., 39,99 €; ISBN 978-3-658-09996-1
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Wiesbaden: Springer VS 2015 (Edition Rechtsextremismus); 311 S.; softc., 39,99 €; ISBN 978-3-658-07369-5
Das Buch basiert auf den Befunden des Forschungsprojektes „Rechtsextremismus (‑potenzial) im lokalen Kontext“, dessen Ziel in der Erstellung eines „übersichtlichen, pointierten und standardisierten“ Merkmalskataloges lag, „welcher auf kommunaler bzw. regionaler Ebene vergleichbare Informationen über die Stärke des organisierten und jugendlichen Rechtsextremismus und Neonazismus enthält“ (13). Entsprechend plädieren die Autoren für einen ...weiterlesen


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