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Clive Hamilton / Mareike Ohlberg: Die lautlose Eroberung. Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet

22.10.2020
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Josie-Marie Perkuhn
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer.
München, Deutsche Verlagsanstalt 2020

Was vor drei Dekaden sicherlich als überzogene Zukunftsfiktion belächelt worden wäre, hat nach Clive Hamilton und Mareike Ohlberg bereits begonnen: die lautlose Eroberung der westlichen Demokratien. Die Autor*innen zeigen sich besorgt über die zumeist naive Fahrlässigkeit, mit der die europäische beziehungsweise US-amerikanische Politik den Bestrebungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) begegnet, denn diese Partei verbreite geradezu über ein engmaschiges globales Netz ihre Weltordnungsvorstellungen. So gehe es der führenden Partei bei ihrer Außenpolitik um nichts anderes als die schleichende Unterwanderung der westlichen Demokratien mit dem Ziel der Neuordnung globaler Machtverhältnisse.

In dreizehn Kapiteln decken die Autor*innen eine thematische Bandbreite ab: Sie behandeln Chinas Kooperationen mit europäischen und US-amerikanischen Eliten, die strategische Einbindung der provinziellen und ländlichen Peripherie, darunter auch die freundschaftlichen Verbindungen zu Entscheidungsträgern auf lokaler Ebene sowie Städtepartnerschaften und die Mobilisierung der chinesischen Diaspora. Dabei rückt China ähnlich der kommunistischen Erfolgsstrategie, die sich bei der Eroberung Chinas bewährt hat, von der Peripherie zu den Zentren vor. Es geht um Wirtschaftsverstrickungen und Spionage, Kulturdiplomatie oder auch um die aktive Einflussnahme auf westliche Medien.

Die Volksrepublik habe sich zum Meister der dunklen Kunst der wirtschaftlichen Hypnose gemausert (20) und nutze die Neue Seidenstraße als Instrument zur geopolitischen Neuordnung (21). Nach einer Charme-Offensive in den vergangenen dreißig Jahren, um sich an den Weltmarkt an- und einzubinden, setzt China diese wirtschaftspolitische Stärke zunehmend zur Verfolgung eigener politischer Interessen im Ausland ein. Am Beispiel des Umgangs mit chinesischen Dissidenten und Befürwortern der Unabhängigkeit Taiwans, erklären die Autor*innen, Chinas Regime will nicht nur eine: „weltweite Unterstützung für die Vorstellung, dass die KPCh die einzige Partei ist, die in der Lage ist, China zu regieren, sondern es möchte auch, dass die Welt anerkennt, dass das politische und wirtschaftliche System Chinas der westlichen Demokratie und der liberalen kapitalistischen Wirtschaftsordnung überlegen ist und dass das von der KPCh beherrschte China im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten ein verantwortungsbewusster globaler Akteur ist, der das Wohl der Menschheit im Sinn hat“ (24).

In diesem Sinne vermuten Clive Hamilton und Mareike Ohlberg hinter dem chinesischen Bekenntnis zum Multilateralismus beziehungsweise der Direktive, sich verantwortungsvoll in globale Belange einzubringen, einen weiteren Angriff auf die US-amerikanische Vormachtstellung. Der Trend zur Multipolarität sei ein Euphemismus für den Niedergang der USA (51).

Die chinesischen Bestrebungen für Europa sind ein gleichrangiger Schwerpunkt des Buches. Im vierten Kapitel werden zum Beispiel zentrale politische Eliten in Europa behandelt, die sich in Großbritannien, Italien, Frankreich oder Deutschland zumeist schon im Zuge der politischen Wende nach der Kulturrevolution in China etabliert haben. Die Autor*innen suggerieren eine lineare Entwicklung der Infiltration über die wirtschaftszentrierten Kanäle, diskutieren aber auch die Rolle einzelner Geschäftsmänner und Politiker kritisch. So spekulieren sie, dass der verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt verantwortlich für den diplomatischen Bruch mit Taiwan sein könne oder auch, dass er sich von der KPCh habe einbinden lassen, etwas Lobendes über das Buch China regieren1 von Xi Jinping zu sagen (121).

Kritisiert wird auch der ehemalige Botschafter Michael Schaefer für seine wohlwollende Aufforderung 2016, „die ‚neuartige Diplomatie’ Beijings anzunehmen, die ‚auf Inklusivität, Chancengleichheit und dem Respekt für die Vielfalt der Kulturen und politischen Systeme“ (93) beruhe. Viele der im Einzelnen vorgetragenen Beispiele wirken nahezu wie eine Abrechnung mit den ‚Größen’ im Geschäft der China-Beziehungen. Allerdings ist fraglich, inwieweit diese offensive außenpolitische Strategie Chinas bereits für die Anfänge der europäisch-chinesischen Beziehungen zutrifft; vor dem Hintergrund des innenpolitischen Machtwechsels in China, scheinen die Autor*innen den damit verbundenen außenpolitischen Strategiewechsel zu verkennen. Ungeachtet davon bleibt jedoch das Kernanliegen: Die Kooperationslandschaft mit dem Partner China ist kritisch zu hinterfragen und neu zu bewerten.

Am wiederkehrenden Beispiel verschiedener Verschleierungstaktiken wird verdeutlicht, nicht nur die ökonomische oder politische Beziehungslandschaft ist angesprochen, sich mit den chinesischen Strategien zu beschäftigen, sondern auch zivil-gesellschaftliche Akteure. So führen die Autor*innen die Existenz „doppelter Firmenschilder“ (41) oder die Verquickung von Zivilgesellschaft und Partei (45) als Beispiele an. Für zivile Akteure gelte, dass eine „institutionalisierte Zivilgesellschaft“ in China nie unabhängig von der Partei sei, wenn es diese überhaupt gebe. Auf Chinabeobachter wie Alex Joske2 verweisend betonen Hamilton und Ohlberg, die Zugehörigkeit von chinesischen Militärwissenschaftlern zur Volksbefreiungsarmee würde verschleiert (234). Sie kritisieren westliche Universitäten für ihre „außergewöhnliche Naivität“ (236), da sie „wissenschaftliche Kultur von Offenheit und Transparenz“ verteidigen, diese aber „von Beijing systematisch ausgenutzt“ werde (237).

Zwischen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und dem chinesischen Volk zu unterscheiden sei jedoch wichtig. Denn, nach der Einschätzung der Autor*innen, handelt es sich nicht um einen ‚Zusammenstoß zwischen den Zivilisationen’, sondern um ein politisches Aufeinandertreffen „mit einem autoritären Regime, mit einer leninistischen Partei samt Zentralkomitee, Politbüro und Generalsekretären, die über gewaltige wirtschaftliche, technologische und militärische Ressourcen verfügt“ (14).

Diese klare Positionierung liest sich jedoch nicht als Aufforderung, das durchaus entstandene Vertrauen persönlicher Kontakte und zwischenmenschlicher Freundschaften der langjährigen Kooperationen gänzlich zu missachten. Vielmehr steckt dahinter die klare Forderung an die westlichen Gesellschaften, der KPCh die beanspruchte Deutungshoheit, sich für das gesamte chinesische Volk auszusprechen, abzusprechen (13). Sie wollen nach eigener Auskunft dafür ein Bewusstsein schaffen, dass den Menschen mit chinesischer Herkunft eine unverzichtbare Rolle zukomme, der KPCh die Stirn zu bieten (385). Medien, Wissenschaftsgemeinschaft, Zivilgesellschaft sowie Kultur- und Handeltreibende sind gleichermaßen aufgefordert, sich die festgeschriebenen Freiheitsrechte in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen zu vergegenwärtigen und den ‚Machenschaften’ der Partei mit Transparenz zu begegnen.

Es handelt sich um eine fundiert recherchierte Studie zur weltpolitischen Agenda Chinas, gespickt mit vielfältiger anekdotischer Evidenz und umfangreichen Quellenangaben. Allein für Letztere lohnt sich der Blick in die Buchausgabe, obgleich das gleichnamige Hörbuch nicht an Informationsgehalt einbüßt. Die Autor*innen verfolgen die klare Agenda, die Leserschaft zu alarmieren und den Blick vom täglichen Alltagsgeschäft auf die eigene strategische Perspektive zu lenken. Die gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie der Westen zu seinen eigenen Werten steht oder ‚wie eine wertebasierte und realistische China-Politik’ aussehen könnte, hat bereits den Weg in den Deutschen Bundestag gefunden.3 Eine umfassende Beschäftigung mit dem Partner, Konkurrenten und Systemrivalen ist zwingend erforderlich.

Der Bestseller „Die lautlose Eroberung“ beschreibt, wie die Volksrepublik China die liberal-demokratischen Staatsstrukturen strategisch von innen unterwandert und auf eine graduelle Neuordnung der Weltmachtstruktur hinwirkt. Diese soll den Parteienstaat begünstigen oder auf lange Sicht sogar als eine Alternative darstellen. „Es wäre ein Fehler, die Versuche der KPCh zur Verbreitung der ‚Demokratie chinesischer Prägung’ [...] herablassend zu betrachten oder zu glauben, diese Bemühungen seien zum Scheitern verurteilt, weil es dem chinesischen System an Attraktivität mangelt“ (34), mahnen die Autor*innen.

Denn gerade in Krisen, wie in der aktuellen Coronavirus-Pandemie, weiß die KPCh die Vorteile eines autokratischen Einparteienregimes herauszustellen, so „überzeugte der Bau eines Krankenhauses innerhalb von zehn Tagen auch viele in westlichen Ländern von der vermeintlichen autokratischen Effizienz der KPCh“ (35). Inwieweit die zentrale Führung die Strippen bis ins Detail zieht, kann aber nur gemutmaßt werden. Einige historische Rückgriffe sollten auf ihre Aussagekraft für das Kernanliegen hinterfragt werden. Fraglich ist zum Beispiel, ob den zugeneigten Bemühungen eines Helmut Schmidts, das ‚China der 1970er Jahre’ an den Verhandlungstisch der Weltpolitik zurückzuführen, die heutige Tragweite dieser Handreichung unter der Führung Xi Jinpings schon absehbar war. So muss auch eingeräumt werden, dass nach der desaströsen Proletarischen Kulturrevolution (1966-1968) innerhalb Chinas ein anderer Wind wehte, der die damalige intellektuelle Debatte der Reform- und Öffnungspolitik umwitterte. So wie die Autor*innen also davor mahnen, dem freundlichen Gebaren Chinas ‚nicht auf den Leim zu gehen‘, ist auch davor zu warnen, die zwar von Chinas Regierung oft hartnäckig beteuerte Kontinuität ihrer Politik anzunehmen und dabei die politisch-strategischen Wendepunkte der chinesischen Innen- wie Außenpolitik zu missachten. Chinas Politik hat sich verändert und gerade darauf gilt es zu reagieren.


Anmerkungen

1 Xi, Jinping. 2014. China regieren. 1. Aufl. Beijing: Verl. für Fremdsprachige Literatur.
2 Siehe dazu auch: Perkuhn, Josie-Marie. 2019. „Alex Joske: Picking Flowers, Making Honey. The Chinese Military’s Collaboration with Foreign Universities. Canberra: Australian Strategic Policy Institute (ASPI), Oktober 2018.” SIRIUS – Zeitschrift Für Strategische Analysen 3 (3): 306-7. Online veröffentlicht am 7. September 2019.
3 Vgl. Bundestag, Parlamentsdebatte: „China-Politik der EU”, 09. September 2020.

 

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