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Nordirland: Das Ende vom Lied? Der Friedensprozess und der Brexit

05.02.2018
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Dr. Bernhard Moltmann

belfast ptrabattoni pixabayIn Murals, großflächig auf Mauern und Häuserwände gemalt, werden in Nordirland die politischen und relgiösen Konflikte verarbeitet, die Vergangenheit lebendig gehalten und auch Grenzen zwischen den Bevölkerungsgruppen markiert. Foto: ptrabattoni / pixabay

 

Zusammenfassung

Ein 2019 anstehender Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union wirft Schatten auf die ohnehin labile Lage des Friedensarrangements in Nordirland, der britischen Exklave im Nordosten der irischen Insel. In dieser Analyse werden Ansatz, Rahmenbedingungen und Verlauf des nordirischen Friedensprozesses bis hin zu Symptomen seines Zerfalls skizziert. Umrissen werden zudem die Herausforderungen, die ein Brexit dem Erhalt friedlicher Verhältnisse in Nordirland auferlegt.

Vor zwanzig Jahren hatte sich Nordirland im Glanz eines einzigartigen Friedensprozesses gesonnt, der seinen Höhepunkt 1998 im Belfast-Abkommen gefunden hatte. Es wies einer Gesellschaft und Politik, die der vorangegangene dreißigjährige Gewaltkonflikt geschunden hatte, einen Weg, wie sich gegensätzliche Traditionen und ausschließende politische Ziele so verregeln ließen, dass sich der Rückgriff auf Gewalt erübrigte und ein demokratisches Herrschaftssystem etabliert werden konnte. Allerdings verlief die Implementierung des Vorhabens mühsamer als erhofft. Dennoch entfaltete der Friedensprozess mit seiner Erwartung, dass der Frieden möglich sei, immer wieder ausreichende Dynamik, um Blockaden der Kontrahenten vor Ort zu überwinden. Förderlich war neben finanziellen Hilfen, Fachwissen und politischem Druck von außen vor allem der Kontext, den die Europäische Union dem Vorhaben bot.

Doch je länger die Transformation vom Gewaltkonflikt zu einem konsolidierten Frieden währte, desto mehr schwand der Glanz des Friedensprozesses. Die radikalen Flügel bei unionistischen und nationalistischen Parteien übernahmen im Laufe der Jahre das Ruder. Sie drängten die moderaten Kräfte an den Rand, und die Abgrenzungen zwischen den beiden Lagern verfestigten sich. Die Erinnerung an die einstige Devise, mittels Demokratisierung den Frieden zu gewinnen, ging verloren. Stattdessen richtete man sich in einer pragmatischen Konfrontation ein, ohne die Wurzeln des Konflikts zu beseitigen. Schon die Tatsache, dass die staatlichen Institutionen ab 2007 zehn Jahre lang nicht kollabierten, galt als Erfolg. Dieser Eindruck erwies sich jedoch als trügerisch. Eine dichte Abfolge von Wahlakten zwischen 2015 und 2017 polarisierte die politische Konfrontation zwischen den Lagern derart, dass im Januar 2017 die obligatorische unionistisch-nationalistische Exekutive zusammenbrach und seitdem in Nordirland keine funktionsfähige Legislative und Regierung mehr existieren. Das ist umso gravierender, als das Land nun erneut von London aus verwaltet wird. In den Brexit-Verhandlungen fehlt ihm eine eigene Stimme.

Der anstehende Brexit hat den bereits erodierten Friedensprozess endgültig gelähmt. Mit ihm rückt die Frage der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland wieder in den Vordergrund. Da sie zur Außengrenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU werden wird, ist der Verkehr von Personen, Gütern und Dienstleistungen über die Grenze zu kontrollieren. Damit geht ein elementarer Gewinn des Friedensprozesses verloren, der die Grenze im Alltag hatte verschwinden lassen. Außerdem sind die Grundlagen des Friedensarrangements ins Wanken geraten. Die Unionisten teilen den Wunsch der britischen Regierung, der EU den Rücken zu kehren, obwohl sie nicht die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung hinter sich wissen. Die Nationalisten sehen sich durch das anglozentrierte Verhalten Londons ihrer Hoffnung beraubt, mit einer Öffnung zur EU die Teilung der irischen Insel zu überwinden.

So ist der Brexit nicht nur ein Indiz für die Risse im britisch-europäischen Verhältnis, sondern offenbart auch die Zerwürfnisse in Nordirland selbst. Der Friedensprozess ist dabei vollends unter die Räder gekommen. Um den Frieden zu bewahren, wird man nicht mehr an gängige Verfahren anknüpfen können. Ein Neuanfang ist vonnöten. Kurzfristig wird es darum gehen, Institutionen und Funktionsweisen des Belfast-Abkommens von 1998 angesichts kommender Unwägbarkeiten vor einer Demontage zu bewahren. Langfristig wird sich der Blick darauf richten müssen, die politische Landkarte der britischen Inselwelt neu zu gestalten. Doch gibt es nur geringe Aussichten für ein Gelingen, denn es mangelt an Ideen und politischer Durchsetzungskraft vor Ort. Auch das internationale Umfeld zeigt keine Neigung, hier Energie zu investieren.

1. Faszination und Enttäuschung

2. Ein Konflikt und seine Regelung
2.1 Die Konfliktkonstellation
2.2 Konturen des Friedensprozesses
2.3 Phasen der Implementierung

3. Bremsspuren im Friedensprozess
3.1 Die Kosten der überdehnten Transformationsphase
3.2 Lähmende Wirkung eines Wahlmarathons

4. Destabilisierung durch den Brexit
4.1 Grenzen und Status
4.2 Zweifel am Fortbestand der Geschäftsgrundlage

5. Fazit: Ausgesäte Zwietracht
5.1 Irritationen
5.2 Aus den Scherben etwas Neues fügen

Literatur


1. Faszination und Enttäuschung

Am 29. März teilte die britische Regierung den Spitzen der EU ihren Willen mit, die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU gemäß Artikel 50 der Europäischen Verträge zu kündigen (Prime Minister’s Letter 2017). Es stehen nun zwei Jahre zur Verfügung, um Vereinbarungen über die Modalitäten des Austritts, die Abwicklung der Kosten und die Rechtsfragen zu treffen. Mit dem absehbaren Brexit kehrt Nordirland auf die europäische Agenda zurück. Denn die Europäische Union hat zur Voraussetzung von Verhandlungen über ihre zukünftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich gemacht, dass neben der Kostenrechnung für den britischen Austritt und dem Status von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich die Verhältnisse auf der irischen Insel geklärt werden (European Council, 2017, Ziffer 11). Innerhalb Nordirlands drängen frühere Auseinandersetzungen erneut an die Oberfläche. Diese hatten angesichts der im vergangenen Jahrzehnt erreichten Stabilität der Verhältnisse als überwunden gegolten. Aber die erreichte Normalität als Resultat des Friedensprozesses täuschte über die weiterhin vorhandenen gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen hinweg. Einmal mehr erweist sich die ‚irische Frage‘ als ein Stolperstein für die britische Politik und darüber hinaus auch für das Gelingen des Europäischen Projekts. Hat die Feststellung des britischen Politikers Arthur Balfour aus dem Jahr 1890 immer noch Bestand? Er war damals für die britische Irland-Politik verantwortlich und sagte: „It does not rest with one individual, with one government completely to solve so ancient a controversy, so old an historic difficulty as [...] the Irish Question“ (zitiert in Fanning 2013: 361). Vor 120 Jahren hatte die britische Politik über den Zuschnitt einer Selbstverwaltung für die irische Insel gestritten. Dann kam 1920 bis 1922 die Teilung der Insel. Der Süden und Nordwesten wurden inzwischen zur Republik Irland, der Nordosten verblieb unter britischer Hoheit. Gegenwärtig geht es wieder um die Beziehung zwischen dem größeren und dem kleineren Teil der geografisch als britisch bezeichneten Inselwelt und um den Status des noch bei Großbritannien verbliebenen Gemeinwesens im nordöstlichen Teil. Wie es mit der Grenze auf der irischen Insel weitergehen soll, bestimmt die aktuelle Debatte. In dem Streit bündeln sich interne wie externe Probleme der involvierten Staaten und Gesellschaften.

Dabei hatte es vor dreißig Jahren ganz anders ausgesehen. Seinerzeit erregte ein Geschehen von ganz anderer Art weltweit Aufmerksamkeit. Politik, Medien, Kultur und Wissenschaft aus aller Welt blickten auf ungeheuerliche Ereignisse im Hinterhof der ältesten europäischen Demokratie.1 Nordirland stand für Zweierlei: zunächst für einen veritablen Bürgerkrieg und nachfolgend für einen singulären Friedensprozess. Denn inmitten der Militarisierung des öffentlichen Lebens, der Morde und Bombenanschläge sowie des weitgehenden Kollapses des Rechtstaates entfalteten sich Ideen und Kräfte, Möglichkeiten der Befriedung zu eruieren und im Jahr 1998 in einem Friedensarrangement umzusetzen. Internationale Preise honorierten das Engagement in Nordirland, so 1976 und 1998 der Friedensnobelpreis2 oder, um eine deutsche Ehrung zu nennen, 1995 und 1999 der Hessische Friedenspreis3. In der Summe galten Nordirland und die hier sich konkretisierenden Friedensbemühungen als Modell für „Friedensprozesse“: vom Herantasten an Friedensverhandlungen über Verhandlungen zu einem Friedensarrangement, dem Abschluss eines Friedensabkommens bis zu den einzelnen Schritten seiner Implementierung. Auf diesem Weg waren Rückschläge, Stillstände und Störungen ebenso zu erleben wie die Freude über erreichte Fortschritte, um einen andauernden, umfassenden Frieden zu erreichen (Darby/MacGinty 2003: 256; Moltmann 2011; Tonge 2014: 7, 11).

Seit den 1990er-Jahren ist die internationale Aufmerksamkeit der Politik, von Medien und Wissenschaft weitergewandert. Sie widmen sich neuen Orten, Konstellationen und Themen. Es besteht der Bedarf fort, in vielen Konfliktzonen weltweit Friedenslösungen zu finden und zu implementieren. Die Bemühungen, Frieden zu schaffen und zu konsolidieren, verlaufen jedoch kleinteiliger und stärker kontextbezogen (MacGinty 2010). Die Neigung, Modelle von Friedensprozessen von einem Fall auf einen anderen zu übertragen, ist abgeflaut. Deren einstige Prominenz lebt höchstens noch einmal an Jahrestagen oder bei Zeremonien auf, wenn einstige Helden zu Grabe getragen werden.

Heute weckt der Fall Nordirland erneutes Interesse, sich mit Verläufen von Friedensprozessen zu beschäftigen.4 Er erlaubt Schlussfolgerungen, warum einmal vorhandene Hoffnungen schwinden, alltägliche Schwierigkeiten zunehmen und infolgedessen Ideen und Ansätze der Friedensprozesse an Strahlkraft und politikgestaltender Wirksamkeit verlieren. Ausgehend von einer Skizze der nordirischen Konfliktkonstellation benennt diese Analyse zunächst die Strukturelemente des einst gepriesenen Friedensprozesses. Schon dessen Umsetzung in der nordirischen Realität zeigt jedoch, dass die Praxis bei Weitem nicht den konzeptionellen Höhenflügen gefolgt ist. Vielmehr gehorchte diese oft genug bei Schwierigkeiten der Devise: Hauptsache, der Friedensprozess bleibt in Gang oder, in den Worten von Jonathan Powell, einem Wegbegleiter des britischen Premierministers Tony Blair (1997–2007), das Fahrrad muss weiterfahren und darf nicht zum Stillstand kommen (Powell 2008: 322). Doch nun hat ein anstehender Brexit ein ohnehin schon schlingerndes Fahrrad in Nordirland endgültig gestoppt. Es droht umzufallen. Das Fragezeichen im Haupttitel signalisiert, dass der nordirische Friedensprozess ein Ende erreicht haben könnte. Die Gründe dafür zeigen sich einerseits an Phänomenen innerer Erschöpfung und andererseits an Entwicklungen außerhalb der Reichweite nordirischer Protagonisten, vor allem an den Folgen der britischen Entscheidung, im Jahr 2019 die Europäische Union zu verlassen. So geben die nordirische Konfliktgeschichte und der Verlauf des dortigen Friedensprozesses dem Report seine Perspektive auf einen Brexit vor.

2. Ein Konflikt und seine Regelung

2.1 Die Konfliktkonstellation

Im sogenannten Nordirland-Konflikt stehen sich zwei nach Herkunft und religiösem Bekenntnis identifizierbare Bevölkerungsgruppen gegenüber. Sie leben auf demselben Staatsterritorium, verfolgen aber konträre politische Ambitionen und streiten über eine gemeinsame Staatlichkeit. Sie werden gemeinhin einem „protestantischen“ bzw. unionistischen und einem „katholischen“ bzw. nationalistisch-republikanischen Lager zugeordnet. Die unionistische Seite beruft sich auf ihre englischen und schottischen Vorfahren, die als Siedler vor vier Jahrhunderten in den nordöstlichen Teil von Irland eingedrungen waren. Sie beharrt auf einem Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich. Ihre politischen Parteien firmieren unter dem Banner des Unionismus. Das nationalistisch-republikanische Lager bekennt sich in der Tradition der ursprünglichen Einwohnerschaft zur Einheit der irischen Insel. Es steht in Ablehnung der britischen Monarchie und Souveränität für einen irischen Nationalismus oder Republikanismus. Seine Anhänger werden von nationalistischen und republikanischen Parteien repräsentiert. Bis zur Jahrtausendwende konnte sich die unionistische Seite einer Bevölkerungsmehrheit gewiss sein. Doch dem Zensus von 2011 zufolge ist deren Vorsprung bei einer Gesamtbevölkerungszahl von heute circa 1,8 Millionen Menschen auf 54.000 geschrumpft. Der nationalistische Teil ist durchschnittlich jünger als der unionistische (McWilliams 2017). So steht in Nordirland eine schwindende Mehrheit einer erstarkenden Minderheit gegenüber. Unter dem Deckmantel konfessioneller Unterschiede geht es um die Rivalität kollektiver Identitäten, den Zugang zu Macht und Ressourcen und die Durchsetzung eines politischen Gemeinwesens, das den Schutz der eigenen Traditionen und politischen Ziele gewährleistet. Unter solchen Vorzeichen weist Nordirland viele Merkmale eines „Identitätskonflikts“ auf. Der Konflikt ist das vorherrschende Moment der Vergesellschaftung (Brubaker 2004: 39).

Bis in die 1970er-Jahre hatte es die unionistische Seite abgelehnt, in dem von ihr dominierten Staatswesen dem nationalistisch gesonnenen Bevölkerungsteil Achtung und Teilhabe einzuräumen. Das tägliche Erleben von Diskriminierung und Repression mobilisierte auf der nationalistischen Seite zunächst eine Bürgerrechtsbewegung. Nach Belfast mural Zubro WikimediaFoto: Zubro / Wikimedia Commonsderen Unterdrückung eskalierten gewaltsame Proteste gegen den Staat und seine Sicherheitsorgane zu einem Bürgerkrieg. Er hat ab 1968 eine breite Spur der Gewalt hinterlassen. 300.000 britische Soldaten waren im Land stationiert – der größte britische Militäreinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen 1969 und 2001 verloren mehr als 3.600 Menschen ihr Leben durch politisch motivierte Gewalt. Über 47.000 Menschen erlitten Verwundungen, das heißt, dass jeder zwanzigste Nordire verletzt worden war. Jeder fünfte hatte im unmittelbaren Umfeld Tote und Verletzte zu beklagen. Außerdem wurden circa 16.200 Bombenanschläge, 37.000 Fälle von Schusswaffengebrauch, 22.000 bewaffnete Überfälle und 2.200 Brandanschläge registriert. Paramilitärische Organisationen vertrieben zwischen 1980 und 2005 etwa 4.600 Menschen aus dem Land (Kandel 2005: 9). Noch heute leiden über 500.000 Personen unter psychischen Spätfolgen, und jeder Dritte sieht sich als Opfer (Belfast Telegraph, 30.10.2015). Die Rate der Selbsttötungen in Nordirland liegt erheblich über dem Durchschnitt im übrigen Großbritannien. Der hohe Stand wird auf die traumatisierenden Langzeitwirkungen der Auseinandersetzungen zurückgeführt (The Irish Times, 4.2.2016).

Augenfällig sind bis in die Gegenwart die vielen Zeichen einer gespaltenen Gesellschaft.5 Die Bruchlinien zeigen sich nicht nur in territorialen farblichen Abgrenzungen und im Hissen von unterschiedlichen Flaggen. Sinnbild sind auch Befestigungen („peace walls“) zwischen Gebieten mit unterschiedlichen politisch-konfessionellen Bevölkerungsgruppen, vor allem in sozial benachteiligten Bezirken von Belfast. Ihre Zahl ist von 22 (1994) auf 116 (2017) gestiegen. Auch das Schulwesen schreibt die soziale Segregation fort. Nur sieben Prozent der Kinder besuchen Schulen, die nicht konfessionell gebunden sind. Dieser Zustand geht auch auf das Beharren der römisch-katholischen Kirche zurück. Sie hält in Nordirland auf ihre bereits im 19. Jahrhundert zugestandenen Privilegien fest, ein eigenes Schulwesen zu unterhalten. Im öffentlich finanzierten Wohnungsbau gelingt es nicht, Menschen zum Umzug in gemischte Wohnverhältnisse zu bewegen. Sie bevorzugen weiter¬hin konfessionell-politisch homogene Wohngebiete. Die jährlichen Traditionsmärsche wecken Furcht vor Unruhen. Sie sind vor allem im unionistisch-loyalistischen Umfeld üblich und erinnern an den Sieg des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien über den katholischen König James II. im Jahr 1689. Oft führen die Umzüge durch heute mehrheitlich katholisch bewohnte Gebiete. Für 131 von insgesamt mehr als 3.000 Umzügen im Sommer 2017 verhängte eine für die Genehmigungen zuständige Kommission Auflagen (The Irish Times, 29.10.2017). Den Anhängern des Oranierordens ist das Wirken der staatlichen Regulierung ein Dorn im Auge. Sie sehen sich in dem Recht auf Meinungsäußerung eingeschränkt und beklagen eine Missachtung ihrer kulturellen Traditionen.

Doch hat das Gewaltniveau inzwischen den niedrigsten Stand seit vierzig Jahren erreicht. Gewaltbereite loyalistische und republikanische Organisationen sind zwar weiter aktiv (The Irish Times, 5.12.2016). Etwa 140 Gruppierungen wird die Fähigkeit zu Attentaten zugeschrieben. Aber deren Aktivitäten destabilisieren das politische System nicht mehr, zumal kriminelle Wirtschaftsaktivitäten und interne Auseinandersetzungen ihr Ansehen bei der Bevölkerung diskreditieren. Gleichwohl bestehen rechtsfreie Räume fort. In ihnen üben paramilitärische Organisationen, in der Mehrzahl loyalistischen Hintergrunds, soziale Kontrolle aus und übernehmen in vigilantischer Manier Polizeifunktionen. So wurden zwischen 2012 und 2016 mehr als 2.000 Fälle bekannt, in denen Menschen wegen missliebigen Verhaltens oder nicht akzeptierter ethnisch-religiöser Herkunft ihre Häuser oder Wohnungen dauerhaft verlassen mussten (The Irish Times, 5.11.2017). Die Manifestationen eines gruppenbezogenen Hasses (‚sectarianism‘) und des Rassismus gelten heutzutage vermehrt Menschen, die als Migranten nach Nordirland gekommen sind, oder den Roma, die immer verfolgt wurden und als nicht akzeptierte Nachbarn galten (McVeigh 2015: 14).

2.2 Konturen des Friedensprozesses

Während des Bürgerkrieges hatten nur wenige Stimmen und Gruppen den Ruf nach dem Ende der Gewalt und nach einem friedlichen Zusammenleben erhoben. Der Konflikt hatte sich zu tief in den Alltag hineingefressen. Appelle, als Märtyrer für die rechte Sache sein Leben zu geben, oder das Verhärten der eigenen Positionen wogen schwerer als der Wunsch nach Kompromissen und Frieden. Schwung bekam das Bemühen um eine gewaltfreie Regelung des Konflikts erst in den frühen 1990er-Jahren, als allen Beteiligten, abgesehen von den Hardlinern und Dissidenten auf beiden Seiten, klar geworden war, dass weder das republikanische Lager mit der Irisch-Republikanischen Armee (Provisional IRA) die Briten aus dem Land bomben noch die staatlichen Sicherheitsorgane, Polizei und Armee, die Guerilla-Truppen eliminieren konnten. Der Regierung in Dublin war ebenfalls daran gelegen, den wirtschaftlichen Aufschwung der Republik Irland ohne den Druck der Querelen im Norden ins Werk zu setzen. Die britischen Regierungen, zunächst die konservativ geführte unter John Major (1990–1997) und dann die 1997 ins Amt gekommene Labour-Exekutive mit Tony Blair an der Spitze (1997–2007), waren der nordirischen Auseinandersetzungen ohnehin leid. Strategische und wirtschaftliche Bedeutung für das Vereinigte Königreich hatte der Außenposten im Nordosten der irischen Insel nicht mehr. Das hatte schon im Jahr 1990 der damalige britische Nordirland-Minister Peter Brooke festgestellt (Catterall/McDougal 1996: 5). Im Nachklang des dann initiierten Friedensprozesses war es nur konsequent, dass im Frühsommer 2016 John Major und Tony Blair gemeinsam in Nordirland für einen britischen Verbleib in der Europäischen Union warben. Es ging ihnen um die Bewahrung des dort unter ihrer Mithilfe erreichten Friedens, den sie durch einen drohenden Brexit in Gefahr sahen (Belfast Telegraph, The Guardian, The Irish Times, 10.6.2016).

Im Folgenden werden die Elemente des Friedensprozesses, wie er sich in Nordirland herauskristallisiert hat, benannt und dann die Faktoren und Rahmenbedingungen der Friedensstrategie eruiert. Ein kursorischer Blick auf die Implementierung nach 1998 zeigt, dass diese mühsam und nur bruchstückhaft verlief (Hauswedell 2017). Viele Probleme, die sich in der gegenwärtigen Brexit-Krise auftun, haben ihre Ursache darin, dass man sich seinerzeit mit unvollkommenen Lösungen zufriedengegeben hatte, um das Ganze des Friedensprozesses nicht zu gefährden.

Zu den Elementen des nordirischen Friedensprozesses zählen: (1) Die gleichberechtigte Partizipation aller Akteure, die sich zum Gewaltverzicht bekannten, (2) die kontinuierliche Begleitung des Geschehens vor Ort durch die Regierungsspitzen von Großbritannien und Irland sowie das Wohlwollen der Europäischen Union und verschiedener US-Administrationen, (3) die üppige wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung der Bemühungen, die Folgen des Gewaltkonflikts zu überwinden, die Kosten der Teilung der Insel zu mildern und gleichzeitig die Deindustrialisierung abzufedern, die Nordirland in den Jahrzehnten nach 1970 durchlebte, (4) das Einräumen von langen Zeitspannen, um strittige Fragen zu bearbeiten, gepaart mit der glaubhaften Androhung von Sanktionen, und schließlich (5) der Erfindungsreichtum von Kompromissformeln, um jeder Seite den Schritt über die Brücken des scheinbar Unüberwindlichen zu ermöglichen.

Der gegenwärtig in Nordirland herrschende Zustand zwischen Bürgerkrieg und konsolidiertem Frieden lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Die Entscheidung darüber, unter welcher staatlichen Souveränität Nordirland steht oder stehen soll, ist zwar insoweit vertagt, als die widerstreitenden Lager den Status quo akzeptiert und sich auf einen zukünftigen Volksentscheid im Norden wie Süden verständigt haben. Dieser soll aber erst anberaumt werden, wenn ein Stimmungswandel gegenüber dem gegenwärtigen Status als Teil des Vereinigten Königreichs eindeutig zu identifizieren ist. Damit schwelt die Ungewissheit weiter, da deren endgültige Klärung noch aussteht. Ferner sind das staatliche Gewaltmonopol und die Rückkehr zur Rechtstaatlichkeit mehr oder weniger akzeptiert. Die Nordiren sind in den Genuss der Autonomie gekommen, die die britische Regierung den Regionen des Vereinigen Königreichs bis auf England in abgestufter Form gewährt hat. Während die Außen-, Sicherheits-, Währungs- und Steuerpolitik in gesamtbritischer Obhut verbleiben, entscheiden die Bürger mit einer gesellschaftlich legitimierten Selbstverwaltung über ihre internen Angelegenheiten. Regional- wie Lokalwahlen finden regelmäßig und unter fairen Umständen statt. Außerdem beteiligen sich die Nordiren an Wahlen zum britischen Unterhaus und zum Europäischen Parlament. Gleichwohl steht immer die Möglichkeit im Raum, dass die Zentralgewalt in London die Regelung der nordirischen Angelegenheiten übernimmt, falls die dortige Politik sich nicht selbst verständigen kann. Schließlich haben sich das unionistische und nationalistische Lager mit dem auferlegten System der Machtteilung arrangiert. Es weicht grundlegend von dem britischen System einer Mehrheitsdemokratie ab. In ihm übt eine parlamentarische Mehrheit die Regierungsgewalt aus, während die Minderheit sich in der Rolle einer Opposition wiederfindet. Mit dem konkordanzdemokratischen Ansatz dagegen sind Minderheiten hinreichend in der Exekutive repräsentiert. Konkordanzdemokratien gründen auf dem wechselseitigen Respekt der konkurrierenden kollektiven Identitäten und gewähren diesen eine möglichst weitreichende Autonomie bei dem Erhalt ihrer Traditionen und Kultur. Angelegenheiten, die die gesamte Gesellschaft und Staatlichkeit betreffen, regeln Institutionen (Exekutive und Legislative), die das Gewicht der politischen Lager abbilden, aber zum gemeinsamen Handeln verpflichtet sind. Ausgewogene Wahlsysteme sorgen für eine angemessene Vertretung der verschiedenen Lager (Gromes 2007: 107 f.; Tonge 2014: 40-47).

Zu den rechts- und innenpolitischen Faktoren kommen weitere hinzu, die den internationalen Rahmen des Friedens in Nordirland abstecken. Großbritannien und die Republik Irland fungieren gleichberechtigt als Garantiemächte. Sie überwachen die Arbeit der nordirischen Institutionen und schlichten Streitigkeiten, die die politischen Akteure vor Ort nicht lösen können oder wollen. Die Mitgliedschaft beider Staaten in der Europäischen Union hat die politischen und ökonomischen Unterschiede zwischen den Ländern nicht aufgehoben, aber dafür gesorgt, dass sich beide Regierungen auf Augenhöhe begegnen. Inzwischen haben sich engere Kontakte zwischen Nordirland und dem Süden der irischen Insel, gipfelnd in institutionalisierten halbjährlichen Konsultationen beider Regierungen, eingespielt. Außerdem haben sich enge Verflechtungen in der Gesundheitsversorgung, Energie- und der Tourismuswirtschaft oder bei der Nutzung von Wasserwegen und Infra-struktur entwickelt. Beide Rechtsgebiete arbeiten bei der Bekämpfung von Kriminalität, Subventionsbetrug und Schattenwirtschaft zusammen.

Das alles hat sich vor dem Hintergrund einer Verzahnung beider Volkswirtschaften vollzogen. Dabei geben EU-weite Regelungen trotz der unterschiedlichen Währungsgebiete Verfahren vor, um den intensiven Austausch von Menschen, Gütern und Dienstleistungen abzuwickeln. Die Europäische Union hilft mit gezielten Förderprogrammen, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Gewaltkonflikts, aber auch die der Teilung der Insel zu bewältigen. Hinzu kommt seit Jahrzehnten ein Flankenschutz für den Friedensprozess durch die US-Politik, an dem seit den 1980er-Jahren die wechselnden Präsidenten in Washington festgehalten haben. Daneben stehen zahlreiche Finanzprogramme aus der irischen Diaspora, vor allem aus den anglophonen Ländern. Verglichen mit anderen Nach-Bürgerkriegsgesellschaften konnte und kann Nordirland seinen Friedensprozess in einer wirtschaftlichen wie finanziellen „Komfortzone“ verfolgen.

2.3 Phasen der Implementierung

Die letztlich erfolgreiche Friedensstrategie folgte einem dreigliedrigen Ansatz: Erstens galt es, die Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung zu unterbinden; zweitens waren Rechtsstaatlichkeit und staatliches Gewaltmonopol wiederherzustellen; drittens sollte über eine Demokratisierung der Herrschaftsverhältnisse die Verantwortung für die Geschicke dieses britischen Landesteiles an durch Wahlen legitimierte Akteure zurückgegeben werden. Das konkordanzdemokratische Regierungssystem sorgte für eine gleichberechtigte Beteiligung des unionistischen und nationalistischen Lagers an der Regierungsgewalt.

Die drei Teile der Friedensstrategie fanden ihren Niederschlag im Belfast- bzw. Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 (The Agreement 1998; Zusammenfassung in Moltmann 2016: 113 f.). Es war unter britisch-irischer Ägide von den nordirischen Parteien ausgehandelt worden. Positive Referenden in Nordirland sowie in der Republik Irland verliehen dem Abkommen eine hinreichende gesellschaftliche Legitimation als zukünftige Geschäftsgrundlage für den Frieden. Nordirland öffnete sich einer Kooperation mit dem Süden. Gleichzeitig etablierte sich eine Zusammenarbeit aller staatlichen Einheiten auf der Inselwelt. Gleichwohl hatte sich die ab 2007 ins Spiel kommende Democratic Unionist Party (DUP) unter Führung ihres wortgewaltigen Anführers und Predigers Ian Paisley dem Abkommen widersetzt. Die Stimmen, die sich in Nordirland gegen das Belfast-Abkommen ausgesprochen hatten, kamen zum großen Teil aus ihrer Wählerschaft.

Die Realisierung der Friedensstrategie in den Folgejahren erwies sich jedoch als außerordentlich vertrackt. Kernstück der Sicherheitsreform war eine grundlegende Reform der Polizei und ihre Anerkennung als Sachwalter des Gewaltmonopols durch die Konfliktparteien. Die Umwandlung der Polizei verlief zügiger als die Entwaffnung der paramilitärischen Organisationen. Um die Gruppen nicht mit dem Makel einer Niederlage zu behaften, sollten sie sich selbst entwaffnen. Erst 2005 bestätigte eine von London und Dublin eingesetzte international besetzte Kommission von Experten den Vollzug durch die Irisch Republikanische Armee (Provisional IRA). Die loyalistischen Verbände zogen 2009 nach. Doch erlaubte dieses Verfahren, dass sich die Gruppierungen als solche nicht auflösten. Unter Beibehaltung ihrer organisatorischen Strukturen wanderten Teile von ihnen in eine gewaltgestützte Ökonomie ab. Sie nährt sich aus Erpressung, Geldwäsche, Subventionsbetrug, dem Handel mit Drogen und gefälschten Produkten sowie aus dem illegalen Transfer von Tabakwaren, Treibstoff und Müll zwischen dem Norden und Süden der Insel.

Die Bemühungen, eine demokratische Selbstverwaltung zu etablieren, zogen sich über neun Jahre hin. Zwischen 1998 und 2007 setzten sich innerhalb erstarrender Lagergrenzen die radikaleren Parteien gegenüber den moderaten Kräften durch. Am Ende waren es die Führer der Democratic Unionist Party (DUP) und der republikanisch-nationalistischen Sinn Féin, die nach dem Wahlgang zur Legislative von 2007 die Regierungsgeschäfte übernahmen. Seitdem haben sich beide Seiten in einer „pragmatischen Konfrontation“ eingerichtet. Sie halten an ihren Divergenzen fest und managen lediglich die Alltagsgeschäfte, solange diese nicht die konkurrierenden Gruppenidentitäten berühren. Stillstand im Umgang mit neuen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen ist die Regel. Der Erfolg bestand allein darin, dass die Institutionen zehn Jahre lang, zwischen 2007 und 2017, nicht kollabiert waren. Doch der Glanz dieses relativen Erfolgs ist inzwischen verblasst, wie die gegenwärtige Krise zeigt. Seit März 2017 ringen beide Lager darum, nach erneuten regionalen Neuwahlen eine arbeitsfähige, gemeinsame Exekutive auf die Beine zu stellen.


3. Bremsspuren im Friedensprozess

Nun ist der nordirische Friedensprozess in eine Krise geraten. Manche Beobachter diagnostizieren bereits einen Stillstand (Kane 2017). Zumindest zeigen sich deutliche Bremsspuren. Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen: zum einen die Konsequenzen der lang währenden Transformation von Gewaltverhältnissen zu zivilen, rechtstaatlichen Regelungsformen des Konflikts. Widersprüchlichkeiten und Unzulänglichkeiten des Übergangs werden zur Gewohnheit. Zum anderen wirkt sich die dichte Abfolge von Wahlen beziehungsweise Referenden zwischen 2015 und 2017 belastend aus. In deren Folge verfestigt sich die binäre Kodierung der politischen Landschaft. Schließlich überfordert die britische Entscheidung von 2016, die Europäische Union zu verlassen, die Elastizität des Friedensprozesses. Sie lähmt Kräfte und Akteure, die zuvor von außen die nordirische Entwicklung auf Kurs gehalten hatten. Sie droht darüber hinaus die wichtige Unterstützung durch die EU zu kappen. In der Summe bündeln sich die Ursachen zu einer Bürde, unter deren Gewicht der Friedensprozess zusammenzubrechen droht. Zunächst richtet sich der Blick auf die internen Problemfelder, bevor im folgenden Kapitel die Auswirkungen eines Brexit auf den Friedensprozess zu reflektieren sind.

3.1 Die Kosten der überdehnten Transformationsphase

Seit der Aktivierung einer nordirischen Selbstverwaltung im Jahr 2007 gemäß den Vorgaben des Belfast-Abkommens von 1998 sind zehn Jahre vergangen. Die Einigung auf das Abkommen selbst liegt bereits fast zwanzig Jahre zurück. Der Friedensprozess ist in die Jahre gekommen. Seine Dramatik und Dringlichkeit, aber auch der Elan haben sich abgenutzt. Die beiden konkurrierenden Lager, das der Unionisten und jenes der Nationalisten-Republikaner, akzeptieren die Machtverhältnisse, solange die eigenen Interessen nicht bedroht werden. Jeder Vorstoß der einen Seite, die Balance zu eigenen Gunsten zu verändern, ruft den Widerstand der anderen hervor. Dabei streitet man nicht mehr über konstitutionelle Fragen wie in früheren Zeiten, sondern um Symbole, Status und historische Deutungen, die die kollektiven Identitäten berühren. Das erklärt die Heftigkeit, mit der die Unionisten gegenwärtig das nationalistische Drängen abwehren, neben dem Englischen auch der irischen Sprache Anerkennung und Förderung angedeihen zu lassen.

Unter solchen Vorzeichen florieren politische Parteien, die vehement die Anliegen der von ihnen repräsentierten Bevölkerungsgruppen artikulieren und sich als deren Fürsprecher aufspielen. Sie profilieren sich im Grundsätzlichen und versuchen, im politischen Alltag möglichst viel für das eigene Lager herauszuschlagen. Die nordirische Parteienforschung verleiht diesen Formationen das Etikett „ethnic tribune parties“ (Mitchell et al. 2009: 397). In diese Kategorie fallen auf der unionistischen Seite die Democratic Unionist Party (DUP), auf der nationalistischen Sinn Féin. Beide verdanken ihren Aufstieg zur jetzigen Führungsrolle einer ursprünglich systemkritischen Haltung. Sie sind von den radikalen Rändern des unionistischen wie nationalistischen Lagers vorgedrungen und haben die moderateren Parteien überrundet, die seinerzeit das Belfast-Abkommen ausgehandelt hatten. Ihnen werfen sie Verrat an der eigenen Sache und zu große Kompromissbereitschaft vor. Dementsprechend tun sich DUP und Sinn Féin heute schwer, miteinander zu kooperieren oder Strategien zu entwerfen, die über den Status quo hinausgehen.

Die Bereitschaft der Konfliktparteien, sich 1998 auf eine Machtteilung und die Verschränkungen von Nordirland mit der Republik Irland sowie mit den anderen Teilen des britischen Archipels einzulassen, war mit einem doppelten Preis erkauft worden. Einerseits gewährten Großbritannien, Irland und die EU großzügige finanzielle Unterstützung. Andererseits schuf man einen aufgeblähten staatlichen Sektor, der den konkurrierenden Interessen Raum zur Entfaltung bot. Nordirland ist heute der größte Kostgänger im Vereinigten Königreich, denn das eigene Steueraufkommen reicht nicht aus, um die staatlichen Ausgaben zu decken. Die öffentlichen Aufwendungen je Belfast mural sportplatz Ben Kerckx PixabayFoto: Ben Kerckx / PixabayEinwohner in Nordirland 2016 betrugen 14.020 britisches Pfund; doch waren nur Steuereinnahmen pro Kopf in Höhe von 8.580 Pfund eingegangen (Belfast Telegraph, 24.5.2017). So liegen die Zuwendungen aus dem gesamtbritischen Etat mit jährlich neun Milliarden Pfund um 21 Prozent über dem Durchschnitt aller Zahlungen an die vier britischen Regionen (Meagher 2016: 73). Das Gleiche gilt für die Verteilung der EU-Mittel für die gemeinsame Agrarpolitik und die Strukturförderung. Auch hier liegt Nordirland an der Spitze im gesamtbritischen Vergleich (Paun/Cheung 2017: 4). 87 Prozent des Einkommens von nordirischen Bauernhöfen speisen sich aus EU-Subventionen, während es im ganzen Vereinigten Königreich nur 53 Prozent sind. Mehr als acht Prozent des nordirischen Bruttoinlandsprodukts (GDP = gross domestic product) hängt von Programmen ab, die die EU finanziert. Der öffentliche Sektor in Nordirland sichert 28 Prozent der Arbeitsplätze und liegt mit zehn Prozent über der gesamtbritischen Quote (Daten nach Burke 2017: 6 f.). Seit Jahren verlangen die von den Konservativen geführten Regierungen in London Kürzungen der Ausgaben für Gesundheit, Soziales, Bildung und Infrastruktur. Doch setzen die nordirischen Parteien die Auflagen aus Sorge nicht um, ihre eigenen Anhänger zu verprellen. Die Folge sind ausbleibende Entscheidungen oder aber die Verlagerung auf Felder ohne eigene Lobby wie Polizei oder Justiz. Immerhin erreichte die Zentralregierung neben einer Neuordnung der Kompetenzen und des Zuschnitts der Landkreise (counties), dass 2017 die Zahl der Abgeordneten in der nordirischen Legislative von 108 auf 90 Mandate verkleinert wurde und die Exekutive um drei Ressorts auf neun Ministerien schrumpfen musste.

Selbst in der zehnjährigen Phase einer nordirischen Selbstverwaltung (2007–2017) wurden die heißen Eisen nicht angepackt. Dazu gehört, wie Rechtsbrüche staatlicher und paramilitärischer Akteure während des Gewaltkonflikts zu ahnden sind und wie Opfer und Hinterbliebene rehabilitiert oder entschädigt werden können. Zudem ist nach wie vor ungeklärt, wie mit Mitteln der Rechtstaatlichkeit den anhaltenden Manifestationen gruppenbezogenen Hasses zu begegnen ist. Sie kommen bei den jährlichen Traditionsumzügen des Oranierordens ebenso zum Ausdruck wie bei Schmähungen von Orten und Symbolen, die für eine der Konfliktparteien essenziell sind.

Ein wesentlicher Nebeneffekt der langen Transformationsphase ist schließlich ein Generationenwechsel in der politischen Elite. Die Personen, die als Protagonisten des Gewaltkonflikts die Kompromisse des Belfast-Abkommens ausgehandelt oder zumindest deren Umsetzung gestaltet hatten, haben die politische Bühne verlassen. Der prominenteste war jüngst Martin McGuinness. Als ehemaliger IRA-Führer in Derry war er Repräsentant der Sinn Féin in Nordirland und amtierte seit 2007 neben wechselnden Partnern der DUP als stellvertretender Erster Minister. McGuinness starb am 21. März 2017. Als letzter Verbliebener, der noch am Zustandekommen des Belfast-Abkommens beteiligt war, hat im November 2017 Gerry Adams angekündigt, die Führung von Sinn Féin im kommenden Jahr abzugeben. Er hat sie dann 34 Jahre lang innegehabt. Nun rücken Kinder oder Enkel nach, die während des Gewaltkonflikts aufgewachsen sind. Sie haben dessen Geschichte geerbt, ohne die Konversion zu Frieden und Verständigung selbst durchlebt und sich Intentionen und Verfahren des Friedensprozesses angeeignet zu haben. So stehen sie in den Schuhen ihrer Vorgänger, ohne neue Schritte zu tun.

3.2 Lähmende Wirkung eines Wahlmarathons

Die nordirische Politik befindet sich seit 2015 im permanenten Wahlkampfmodus, vor allem bedingt durch die Dynamik der britischen Innenpolitik.6 Damit ist die praktische Arbeit von Amtsträgern und Institutionen faktisch zum Erliegen gekommen. Zugleich hat sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern zugespitzt. Sachliche Kontroversen haben sich emotional aufgeladen, gipfelnd in wechselseitigen Beschimpfungen und Diskriminierungen der politischen Repräsentanten. Das hat jegliche Aussichten auf eine verträgliche Zusammenarbeit der Kontrahenten, auf die sie die Verfahren der Konkordanzdemokratie verpflichten, gemindert. Zugleich aber stieg die Wahlbeteiligung. Sie erreichte 2017 bei den Unterhauswahlen 65,6 Prozent, während sie 2015 noch bei 58,5 Prozent gelegen hatte. Die Wähler spürten, dass existentielle Fragen zur Entscheidung standen.

Von der politischen Mobilisierung der Wählerschaft haben die führenden Parteien beider Lager profitiert. Die kleineren verloren dagegen weiter an Rückhalt und sind im britischen Unterhaus inzwischen nicht mehr vertreten. In der Regionalversammlung hat seit den Wahlen am 2. März 2017 die nationalistisch-republikanische Sinn Féin nur ein Mandat weniger als ihr Gegenspieler im unionistischen Block, die DUP. Insgesamt haben die Unionisten zum ersten Mal seit Gründung des nördlichen Staatswesens im Jahr 1921, als die Insel geteilt worden war, keine Mehrheit mehr in der dortigen Legislative. Sie sehen dadurch ihre Vorherrschaft infrage gestellt. Allerdings erreichte die DUP bei den britischen Unterhauswahlen im Juni 2017 eine hinreichende Zahl an Sitzen, um sich der geschrumpften konservativen Regierungspartei in Westminster als Mehrheitsbeschaffer anzudienen. In einem mehrwöchigen Ringen erklärten sich die verhandlungserprobten Unionisten schließlich bereit, mit ihren zehn Parlamentariern die britische Regierung bei der Verabschiedung der jährlichen Budgets und der Abwehr von Misstrauensanträgen zu stützen. Als Preis erhielt die DUP vor allem die Zusage der britischen Premierministerin Theresa May, für Nordirland zusätzlich zu den festgelegten finanziellen Transfers bis zu 1,5 Milliarden Pfund in den nächsten Jahren bereitzustellen (Agreement 2017). Allerdings ist der Geldfluss auch nach sechs Monaten erst in geringem Umfang in Gang gekommen. Es ist zudem nicht klar, ob die zusätzlichen Zahlungen daran gebunden sind, dass es in Nordirland eine funktionsfähige Exekutive gibt, die über die Verwendung entscheiden kann. Schließlich klagen Schottland und Wales ihrerseits über die ungleiche Behandlung der Regionen und haben weiteren Finanzbedarf in London angemeldet.

In jedem Fall hat sich die DUP mit diesem politischen Handel erheblichen Einfluss auf die britische Regierung verschafft, obwohl sie keine förmliche Koalition mit der Konservativen Partei eingegangen ist. Sie droht bereits mit einem Rückzug ihrer Unterstützung, falls sich die konservative Regierung in den Brexit-Verhandlungen gegenüber der EU als zu kompromissbereit zeigt (The Guardian/ Belfast Telegraph, 30.11.2017). Inzwischen will die DUP auch mit am Verhandlungstisch in Brüssel sitzen. Sie reklamiert in europapolitischen Fragen einen Entscheidungsvorbehalt, obwohl der Bereich nicht vom Parteienabkommen vom 26. Juni 2017 abgedeckt ist (Belfast Telegraph, 6.12.2017). Angesichts ihrer eigenen Schwäche ist die britische Regierung zur Geisel der nordirischen Unionisten geworden. Die republikanische Partei Sinn Féin wiederum schlägt aus dem Gewinn von sieben Unterhaussitzen kein politisches Kapital. Ihre Abgeordneten weigern sich aus prinzipiellen Gründen, den Eid auf die britische Krone zu leisten, und nehmen das Mandat in Westminster nicht ein. Ein solcher Schritt widerspräche den Grundprinzipien der Partei, die britische Souveränität über diesen Teil Irlands nicht anzuerkennen. So kann die erstarkte britische Labour-Party als größte Opposition im Unterhaus nicht mit deren Beistand rechnen, zumal auch in ihren Reihen die Furcht herrscht, durch ein Bündnis mit der republikanischen Sinn Féin in den Ruch fehlenden Patriotismus zu geraten.

Das Wechselspiel zwischen dem Machtzuwachs der Nationalisten in Nordirland und der bedeutenderen Rolle der DUP in London erschwert beiden Seiten in Belfast seit dem Frühjahr 2017, eine gemeinsame Exekutive zu bilden. Sie war zusammengebrochen, nachdem die nationalistische Seite aus Enttäuschung über fehlenden Respekt der Unionisten die Kooperation aufgekündigt und damit Neuwahlen der Legislative herbeigeführt hatte. Auslöser war die Halsstarrigkeit der unionistischen Mehrheitsführerin Arlene Foster, an der Aufklärung eines Skandals über erschlichene Subventionen im Bereich ihrer früheren Verantwortung als Ministerin für Handel, Unternehmen und Investitionen mitzuwirken. So verfügt Nordirland derzeit in einer Phase, in der finanzielle Restriktionen eine Modernisierung staatlicher Strukturen verlangen und zugleich mit einem Brexit der gesamten politischen Landschaft auf der irischen wie britischen Insel ein Umbruch bevorsteht, über keine demokratisch legitimierte und handlungsfähige Regierung.

4. Destabilisierung durch den Brexit7

Erschütterungen der politischen Konstellation in Nordirland und negative Auswirkungen auf den Friedensprozess stehen zusätzlich durch die Konsequenzen von Ereignissen ins Haus, die dort nicht ihren Ursprung haben. Am 23. Juni 2016 hatte im gesamten Vereinigten Königreich ein Referendum über die zukünftige Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union stattgefunden. In dessen Vorfeld hatten die Regionalregierungen von Schottland, Wales und Nordirland vergeblich darauf gedrungen, das Endergebnis von einem übereinstimmenden Votum in den vier Teilregionen abhängig zu machen, um die verschiedenen Interessenlagen zu berücksichtigen (zu den Risiken von Referenden: Reilly 2003: 179 f.). Demgegenüber hielten Regierung und Parlament in London an der Maxime fest: „Mehrheit ist Mehrheit“.
Wie zu erwarten war, fiel das Resultat der Abstimmung disparat aus: 52 Prozent der Abstimmenden in England und Wales stimmten für den Austritt – in Schottland (62 Prozent) und Nordirland (55,8 Prozent) fand sich eine Mehrheit für den Verbleib. In der Summe stimmten 51,9 Prozent der Briten (17,4 Millionen) für das Verlassen der EU und 48,1 Prozent (16,1 Millionen) für den Verbleib. Dabei hat das Ungleichgewicht der Regionen den Ausgang des Referendums geprägt, denn die 15,2 Millionen Stimmen aus England für den EU-Austritt bestimmten das Ergebnis (Uberoi 2016: 5). Bei den nordirischen Abstimmungsergebnissen überlappten sich die Lagergrenzen zwischen den Nationalisten und Unionisten mit dem Votum für einen Verbleib oder einen Austritt aus der EU: 85 Prozent der nationalistisch orientierten Wählerschaft votierten für einen Verbleib. Dass in Nordirland letztlich eine Mehrheit zugunsten der EU zustande kam, ist auf den Seitenwechsel unionistischer Stammwähler in Wahlkreisen zurückzuführen, die in der agrarisch geprägten Mitte des Landes liegen, während in den nordöstlichen Landesteilen, ohnehin unionistische Hochburgen, die Austrittsbefürworter die Oberhand behielten. In den grenznahen Regionen war das Votum der Wählerschaft deutlich zugunsten eines Verbleibs ausgefallen (Northern Ireland Assembly 2016: 10; Phinnemore/Hayward 2017: 27). Als einzige nordirische Partei hatte die DUP massiv für einen EU-Austritt geworben.

Das EU-Referendum mit seinem Verfahren und dem Resultat hat dem Bemühen um den Frieden in Nordirland keinen guten Dienst erwiesen. Jetzt rücken zwei fundamentale Probleme wieder auf die Tagesordnung: (1) die geografische Lage von Nordirland als britisches Staatsgebiet auf der irischen Insel und (2) die Grundlagen des politischen Miteinanders, wie sie sich seit dem Belfast-Abkommen von 1998 herausgebildet haben. Diese beiden Problembereiche waren während der zurückliegenden zwanzig Jahre im Zuge der prosperierenden Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Irland, zwischen Nordirland und seinem südlichen Nachbarn sowie in Nordirland selbst in den Hintergrund getreten.

4.1 Grenzen und Status

Ein britischer EU-Austritt wird zur Folge haben, dass quer über die irische Insel die einzige Landgrenze verlaufen wird, die das Vereinigte Königreich von der EU trennt. Sie ist etwa 500 Kilometer lang und war mit der Teilung der Insel im Jahr 1921 unter politischen und nicht unter geografischen oder historisch begründeten Gesichtspunkten gezogen worden. Das sollte Grafschaften unter britischer Herrschaft halten, in denen die Mehrzahl der Bürger loyal zu Großbritannien standen, und den Unionisten in einem neuen und lebensfähigen Nordirland die Mehrheit sichern (de Barra 2017). Zwar gilt zwischen Großbritannien und Irland seit 1923 ein uneingeschränkter Reiseverkehr. Aber während des Gewaltkonflikts hatten Wachtürme und Straßensperren für scharfe Kontrollen der Grenze gesorgt. Das alles ist seit zwanzig Jahren verschwunden, zumal die gemeinsame EU-Mitgliedschaft von Irland und Großbritannien auch alle Zollhindernisse beseitigt hatte, seitdem ab 1993 der europäische Binnenmarkt seine Wirkung entfaltet hat. Inzwischen finden jährlich mehr als 110 Millionen Grenzübertritte von Menschen in beiden Richtungen statt. Im Jahr 2015 überquerten eine Million LKW, 1,3 Million Kleinlaster und 12,5 Million PKW die Grenze. 14.800 Personen wechseln regelmäßig von einem zum anderen Hoheitsgebiet, um zu arbeiten oder zu studieren. Gesundheitseinrichtungen und Schulen im Norden und Süden werden gemeinsam genutzt (The Irish Times, 16. und 18.5.2017).

Darüber hinaus sind Nordirland und die Republik Irland durch enge Wirtschaftsbeziehungen miteinander verbunden. Der Süden und Nordwesten sind der wichtigste externe Handelspartner für Nordirland, insbesondere bei der Verarbeitung von Lebensmitteln. So werden wöchentlich mehr als 10.000 Schweine zur Schlachtung vom Süden in den Norden gebracht, während ein Viertel der nordirischen Milchproduktion in der Republik verarbeitet wird. Die irischen Häfen sind relevante Umschlagplätze für den Transfer von nordirischen Gütern in das übrige Großbritannien. Auf der irischen Insel hat sich seit 2007 ein gemeinsamer Energiemarkt entwickelt, der die Versorgungssicherheit im Norden und Süden sichert (HM Government 2017).

Insgesamt lassen sich mehr als 140 Felder identifizieren, in denen das bislang für beide Teile geltende EU-Recht zur Anwendung kommt, von Hygienevorschriften über Umweltstandards bis zur Wasserwirtschaft (The Guardian, 27.11.2017). Die erreichte wirtschaftliche und soziale Integration der beiden Staatsgebiete auf der irischen Insel steht auf dem Spiel, wenn die britische Regierung an ihrer Absicht festhält, mit dem Austritt aus der EU auch den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen. Eine „harte“ Grenze mit allen ihren Implikationen für die Überwachung des Personen- und Güterverkehrs ist infolgedessen unausweichlich (Revenue 2016). Mit der aufbrechenden Grenzdiskussion treten zudem ungeklärte Territorialkonflikte zutage, die bei der Teilung der Insel im Jahr 1921 und einer späteren Überprüfung 1925 unberücksichtigt geblieben waren, so bei der Bewirtschaftung der Gewässer am Lough Foyle an der nordwestlichen Grenze (Burke 2017: 2).

Die nach dem Brexit-Votum neu ins Amt gekommene britische Regierung wehrt sich vor allem gegen einen ungehinderten Zugang von EU-Bürgern. Gleichzeitig behauptet sie, man wolle nicht zu früheren Überwachungsmaßnahmen an der britisch-irischen Grenze zurückkehren. Am liebsten wäre es ihr, dass die irische Seite die Zugänge auf die Insel an ihren See- und Flughäfen überwachen und gleichsam als Lohn eine offene zwischenstaatliche Landgrenze bekommen würde. Ob sich ein solches Verfahren mit den EU-Regeln für einen freien Reiseverkehr, aber auch mit irischem Souveränitätsverständnis vereinbaren lässt, steht auf einem anderen Blatt. Die nordirischen Nationalisten, die Regierung in Dublin und die EU favorisieren eine Grenze, die bereits durch die Geografie gegeben ist, nämlich auf der Irischen See zwischen der irischen und der britischen Insel. Personen und Güter würden dann erst kontrolliert, wenn sie britisches Territorium erreichen. Diese Variante hätte den Vorteil, dass Nordirland, insbesondere die relevante Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, weiterhin den EU-Regeln folgen könnte und der Zugang zum EU-Markt erhalten bliebe (Pollack 2017). Allerdings wäre der für Nordirland insgesamt wichtige Handel mit anderen Gütern und Leistungen, die für Großbritannien bestimmt sind, Kontrollen unterworfen. Für die nordirischen Unionisten ist diese Idee ohnehin ein Anathema. Sie fürchten eine Abkoppelung Nordirlands vom übrigen Vereinigten Königreich. Die von ihnen hochgehaltene Union wäre in Gefahr. Ihre Haltung reflektiert allerdings nicht, dass der nordirische Landesteil in vielerlei Hinsicht (Abtreibungsrecht, Status von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, Sport) schon ein Eigenleben führt, abgesehen von dem politischen System, dem das Belfast-Abkommen seinen konkordanzdemokratischen Stempel aufgedrückt hat. Statt eines Sonderstatus für Nordirland propagieren Unionisten, dass die Republik Irland gemeinsam mit Großbritannien die EU verlassen solle. Dann hätte sich jegliche Grenzdiskussion erübrigt (Paisley Jr. 2017). Diese Option kollidiert aber mit der ausgeprägten EU-freundlichen Haltung einer großen Mehrheit der irischen Bürger. Laut Umfragen wären nur 16 Prozent der Iren bereit, mit einem Brexit ebenfalls die EU zu verlassen (The Irish Times, 9.5.2017).

Mit dem Verweis auf die geografische Lage lebt ein anderes Dilemma auf, das jahrzehntelang eine Lösung der nordirischen Konfliktlage erschwert hatte, nämlich die Beziehungen zwischen Mehr- und Minderheiten innerhalb eines Staatswesens. Bei dem Referendum gewannen die Befürworter eines Verbleibs in der EU zwar in Nordirland ebenso wie in Schottland eine Mehrheit. Ihre Überlegenheit hatte aber angesichts des Übergewichts des englischen Wählerpotenzials keine Relevanz für das Gesamtergebnis. In Nordirland selbst sind die Anhänger eines Austritts in der Minderheit, wissen sich aber im Einklang mit der englischen Mehrheit. Die nordirische Mehrheit findet dagegen allein bei den Schotten Anschluss. Dort ist nach dem Brexit-Votum der Ruf nicht verstummt, nach einem gescheiterten Anlauf 2015 erneut ein Ausscheiden aus dem Vereinigten Königreich anzustreben.

Selbst wenn mit den Widersprüchlichkeiten der Regierung in London, mit den Ergebnissen des Referendums umzugehen, die Risse in der britischen Union einmal mehr zutage treten, hält derzeit immer noch eine Mehrheit von Nordiren an den Bindungen zum „mainland“ fest. Gängigen Einschätzungen zufolge befürworten derzeit 55 Prozent der Bevölkerung den Fortbestand der Union mit Großbritannien und 33 Prozent eine Vereinigung mit dem Süden. Doch ist diese Stimmungslage volatil. Jüngste Umfragen zeigen, dass das Abstimmungsverhalten der Nordiren, die sich für einen EU-Verbleib ausgesprochen hatten, je nach Ausgang der Brexit-Verhandlungen einen Meinungswandel herbeiführen kann. Ein Resultat, das die nordirischen Wirtschaftsperspektiven verschlechtert, fördert die Neigung, eine Annäherung an den Süden zu suchen. In diesem Fall treten 46 Prozent der Befragten für einen Anschluss an die Republik Irland ein (Bell 2017). Auch die Option eines Sonderstatus für Nordirland bei einem britischen Austritt aus der EU findet inzwischen bei 67 Prozent der Befragten Zustimmung; nur 27 Prozent lehnen diese ab (Coakley/Garry 2017).

Appelle von nordirischen Nationalisten, nun auch in Nordirland und der Republik Irland über die irische Einigung abzustimmen und damit die Trennung von Großbritannien einzuleiten, stießen in Dublin, vor allem aber bei den Unionisten, die sich für einen Verbleib in der EU angesprochen hatten, auf ein laues Echo. Gerade die deutschen Mühen, nach 1990 eine vierzigjährige Trennung zu überwinden, dient irischen Bedenkenträgern als Beleg, eine solche Option zurückhaltend anzugehen. Immerhin erreichte die irische Regierung von der EU die Zusage, dass der Norden im Fall einer Vereinigung mit dem Süden ungehindert Teil der Gemeinschaft werden könne (The Irish Times, 23./24.2.2017).

Im Spektrum der nordirischen Politik zeigen sich jetzt Differenzen darüber, wer wo am effektivsten die nordirischen Interessen vertritt. Die Unionisten, die für den Austritt votiert hatten, sehen sich bestens durch die britische Regierung repräsentiert. Diese hat als Kurs für den Umgang mit den regionalen Belangen die Marschrichtung vorgegeben, dass das Vereinigte Königreich einst gemeinsam in die Europäische Union eingetreten sei und man nun auch gemeinsam wieder Abschied nehme. Den Nationalisten ist diese nachrangige Positionierung ihres Landesteils einmal mehr ein Zeichen eines dominierenden englischen Nationalismus, der der gesamten Brexit-Strategie einen anglozentrierten Anstrich gegeben hat. Sie setzen deshalb Hoffnungen auf ein stärkeres Engagement der irischen Regierung und fordern ein abgestimmtes irisch-nordirisches Vorgehen, das sich unmittelbar an Brüssel richtet. Ihre favorisierte Option ist ein Sonderstatus für Nordirland innerhalb der EU. Das aber ist für die Unionisten ein Unding. Sie sehen einmal mehr die Wahrung ihres zentralen Anliegens gefährdet, die Union mit Großbritannien zu erhalten. Mit einem EU-Sonderstatus drohe Nordirland zudem näher an die Republik Irland heranzurücken. So sperren sie sich gegen jede gesamtirische Perspektive. Als der damalige irische Premier-minister Enda Kenny am 2. November 2016 zu einem Forum einlud, um die Folgen des Brexit für die ganze irische Insel mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu erörtern, erteilte ihm die damalige Erste Ministerin Arlene Foster eine rüde Abfuhr. Sie verwies auf die bestehenden Institutionen, insbesondere den halbjährlich tagenden Nord-Süd-Ministerrat. Das sei der gebotene Ort, um sich zwischen den Regierungen abzustimmen. Das Mitreden anderer Parteien, von Wirtschaftsverbänden oder gesellschaftlichen Gruppen erachtete sie ohnehin als überflüssig (Belfast Telegraph/The Guardian/The Irish Times, 1.-4.11.2016).

4.2 Zweifel am Fortbestand der Geschäftsgrundlage

Der Ausgang des britischen EU-Referendums unterminiert außerdem die Grundlagen für das Machtarrangement in Nordirland. Das Belfast-Abkommen von 1998 als Basisdokument war davon ausgegangen, dass der irische wie der britische Staat Mitglieder der EU sind. Es hatte die Republik Irland und Großbritannien als „freundliche Nachbarn und Partner in der Europäischen Union“ bezeichnet. Gleichzeitig diente der Vertrag als Vehikel und Plattform, die Beziehungen zwischen beiden Staaten auf Augenhöhe zu normalisieren. Das Abkommen selbst ist in seinem zwischenstaatlichen Teil ein internationaler Vertrag, den das Vereinigte Königreich und Irland bei den Vereinten Nationen hinterlegt haben.

Die irische wie britische EU-Mitgliedschaft macht auch Vorgaben für die Exekutive in Belfast und die Nord-Süd-Gremien mit der Republik. Sie sollen laut dem Abkommen die Kooperation mit der EU im Hinblick auf gemeinsame Angelegenheiten koordinieren. Gerade für die nationalistischen Parteien in Nordirland war und ist die EU-Mitgliedschaft ein Bindeglied zum Süden und zu Europa und relativiert ihren Minderheitsstatus vor Ort. Umso wichtiger war ihnen, dass sich Großbritannien verpflichtete, Belfast Island St. mural Jeanne Boleyn WikimediaFoto: Jeanne Boleyn / Wikimedia Commonsdie Europäische Menschenrechtskonvention im nordirischen Recht zu verankern. Das Bekenntnis galt seinerzeit als Fortschritt, auch wenn die britische Regierung zusammen mit den Unionisten über Jahre hinweg gezögert hat, für Nordirland eine eigene Menschenrechtscharta zu verabschieden. Offen ist derzeit, ob sich die britische Seite nach einem EU-Austritt auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention löst und entsprechende eigene Regelungen verabschiedet. Das käme ebenfalls einem Rückzug aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg gleich, wie es britische Europa-Gegner seit Langem fordern.

Mit dem Brexit gerät eine weitere Innovation des Belfast-Abkommens in Gefahr, die Staatszugehörigkeit. Das Abkommen hatte diese gleichsam „entterritorialisiert“, denn es eröffnete den Nordiren die Möglichkeit, britische oder irische Pässe oder auch beide zu führen. Nach dem britischen Referendum verzeichneten irische Stellen einen erheblichen Anstieg von Anträgen auf EU-Ausweise. Mit dem Vollzug des Brexit stehen nun für Nordirland Verhältnisse ins Haus, in denen Bürger mit EU-Staatszugehörigkeit in einer politischen Einheit leben, die der EU den Rücken gekehrt hat und EU-Bürgern einen anderen, schlechteren Rechtsstatus zuweist als den eigenen. Zudem würde EU-Bürgern der Zugang zur Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen ebenso erschwert wie der Familiennachzug, abgesehen von den Prozeduren und Kosten für eine Aufenthaltsberechtigung.

Der absehbare Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hatte 2016 zu zwei Klagen aus Nordirland gegen die britische Regierung geführt, gestützt auf Zweifel, ob dieser Schritt mit den britischen Verpflichtungen im Belfast-Abkommen vereinbar sei. Eine Gruppe von nationalistischen und ungebundenen Politikern stellte infrage, ob die Regierung in London befugt sei, über die Köpfe der Nordiren hinweg den völkerrechtlichen Status von Nordirland einseitig zu verändern und Rechtsvorgaben der EU durch britisches Recht zu ersetzen. Eine zweite Gruppe aus Menschenrechtsorganisationen und Opfern sowie Hinterbliebenen des Gewaltkonflikts fürchtete um den Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Verlust der Hilfen, die bislang die EU-Instanzen ihrem Anliegen auf Anerkennung und Entschädigung gewährt haben. Immerhin kommen 85 Prozent der Mittel dafür aus der EU. Kritiker warfen der britischen Regierung zudem vor, nicht zu berücksichtigen, dass mit der EU-Mitgliedschaft eines Landes weitreichende wirtschaftliche, gesellschaftliche und umweltpolitische Implikationen einhergegangen sind. Beide Anliegen landeten vor dem Obersten Gerichtshof in London, der auch mit Klagen der schottischen und walisischen Regierungen in der Brexit-Frage konfrontiert war. Diese sahen die ihnen zugestandene Autonomie durch das Vorgehen der Zentralregierung verletzt, die ohne Zustimmung der regionalen Volksvertretungen das Austrittsverfahren betreibe. Die Londoner Regierung berief sich demgegenüber auf ihre Prärogative in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Das Oberste Gericht teilte in seinem Urteil vom 24. Januar 2017 die Argumente der Kläger nicht (The Supreme Court 2017). Vielmehr werde nach Einschätzung der hohen Richter in London das Belfast-Abkommen nicht durch den Brexit infrage gestellt. Auch billigten sie den Regionen kein Mitentscheidungsrecht über das Resultat der Austrittsverhandlungen zu. Allerdings verpflichteten sie die britische Regierung, das Parlament als Souverän in den Entscheidungsgang einzubeziehen.

Selbst wenn jetzt höchstgerichtlich die Gültigkeit des Belfast-Abkommens bestätigt worden ist und alle Seiten ihre Bereitschaft betonen, es zu erhalten, verweisen die juristischen Auseinandersetzungen auf Bruchstellen. Diese mögen sich in geringerem Maße auf den Wortlaut als vielmehr auf den Geist der Übereinkunft beziehen. Sie war mit ihren zwischenstaatlichen und innenpolitischen Komponenten als politisch ausgehandelter Kompromiss zustande gekommen. Das Ganze lebte von der Bereitschaft der Kontrahenten, die Absprachen zu akzeptieren und umzusetzen. Die Mechanismen der Machtteilung, wie sie in dem Vertragswerk ihren Niederschlag gefunden hatten, beruhten auf der Annahme, dass Souveränität gemeinsam wahrgenommen („shared“) und geteilt („divisible“) werden könne sowie sich durch transnationale Kooperation erweitere. Diese Vorstellung kollidiert heute mit den Positionen der Befürworter eines britischen Austritts aus der EU und deren Bekenntnis zu einer Orientierung ausschließlich auf das Vereinigte Königreich. Sie sind mit den Prinzipien der europäischen Integration, der Mitwirkung von Dublin in nordirischen Angelegenheiten und den Formen der Suche nach Kompromissen und Konsensen vor Ort nicht vereinbar. Der nordirische Unionismus hat sich dieser Haltung angeschlossen und sich damit von den Maximen verabschiedet, die für den Friedensprozess einmal leitend waren. Die nationalistische Seite ist infolgedessen auch wieder in ihre ursprünglich konfrontative Haltung zurückgefallen und propagiert erneut einen Kampf um kollektive Identitäten (Ó Dochartaigh/Hayward 2017).


5. Fazit: Ausgesäte Zwietracht

5.1 Irritationen

Die nordirischen Institutionen und ihre Repräsentanten stehen angesichts der Brexit-Verhandlungen vor praktischen Problemen, die Sprengstoff enthalten. Die unionistischen und nationalistischen Mehrheitsparteien, die gemeinsam die Exekutive bilden müssen, haben aus dem Ergebnis des Referendums divergierende Schlüsse gezogen. Die Democratic Unionionist Party (DUP) und ihre Repräsentantin Arlene Foster sehen sich in ihrer EU-ablehnenden Haltung bestätigt, auch wenn sie die Mehrheit der nordirischen Bevölkerung nicht hinter sich wissen. Sie warnen vor Panik und vertrauen der britischen Regierung. Die republikanisch-nationalistische Partei Sinn Féin mit ihrer nordirischen Fraktionsvorsitzenden Michelle O’Neill und dem noch bis 2018 amtierenden Parteiführer Gerry Adams im Hintergrund sehen sich einmal mehr von der britischen Seite hinters Licht geführt. Alle Errungenschaften des Belfast-Abkommens stünden nun zur Disposition. Dazu zählen die besondere Bedeutung von Nordirland im Zeichen seines Friedensprozesses wie die daraus folgende Verpflichtung zu wechselseitigem Respekt der unterschiedlichen Traditionen. Das durch die englische Wählerschaft determinierte Votum unterlaufe das Recht der Nordiren auf Selbstbestimmung. Der gesamtbritische Mehrheitsentscheid für einen Austritt diskreditiere den nordirischen für einen Verbleib.

Dabei sind die handfesten Probleme, die mit einem britischen Austritt aus der Europäischen Union auf Nordirland zukommen, bereits hinreichend bekannt. Der größte Brocken der Probleme bezieht sich auf die finanziellen Leistungen aus EU-Programmen, beginnend mit der umfangreichen Unterstützung des Agrarsektors bis hin zur Förderung von Opfern und Hinterbliebenen des Gewaltkonflikts. Ein besonderes Augenmerk der EU hatte seit 1995 auch der Unterstützung des Friedensprozesses gegolten, einschließlich der grenzüberschreitenden Kooperation zwischen Nordirland und der Republik Irland. Andere Positionen des Problemkatalogs beziehen sich auf die Geltung von EU-Standards des Umweltschutzes, der öffentlichen Beschaffung sowie der Verbraucherrechte oder der Repräsentanz regionaler Interessen im europäischen Verbund. Auch Sicherheitsfragen geraten in den Fokus: So hatte die nordirische Polizeiführung bereits frühzeitig auf die negativen Folgen für ihren Kampf gegen das grenzüberschreitende organisierte Verbrechen hingewiesen, falls die EU-weite und inzwischen problemlose nordirisch-irische Zusammenarbeit zu Fall komme. Unter Kennern der Strukturen von gewaltbereiten republikanischen Dissidenten wächst die Furcht von einem Anstieg der antibritischen Stimmung beim Vollzug des Brexit. Dieser biete den Gruppen Möglichkeiten, an die irische Solidarität zu appellieren und neue Anhänger zu rekrutieren. Über allen diesen Fragen steht aber als zentrale diejenige nach der Gestalt der Grenze zwischen dem Norden und Süden auf der irischen Insel.

Auf alle diese Fragen Antworten zu finden, deren materieller Gehalt zumindest das bisherige Niveau wahrt, stellt eine Exekutive und ihre Verwaltung in Belfast vor erhebliche Herausforderungen. Angesichts der aufgebrochenen internen Divergenzen und aller begleitenden Unwägbarkeiten steht die Zusammenarbeit der beiden Mehrheitsparteien ohnehin auf dem Prüfstand. Hinzu kommen Zweifel, ob die regionale Verwaltung überhaupt in der Lage ist, die Reichweite der praktischen Probleme eines Ausstiegs aus der EU hinreichend abzuschätzen und angemessene Lösungsstrategien zu entwickeln. Die in den Vorjahren von der Zentralregierung in London auferlegten Einsparungen haben den administrativen Apparat ausgedünnt und schon an seine Leistungsgrenzen gebracht.

Die Option, auf Hilfe der Regierungen in London und Dublin zu setzen, ist derzeit nicht Erfolg versprechend. In der britischen Regierungszentrale herrschen Grabenkämpfe um einen harten oder weichen Kurs bei den Austrittsverhandlungen mit der EU. Im Hintergrund macht die unionistische DUP ihren Einfluss geltend, keine weitreichenderen Zugeständnisse zu machen, die die Union zwischen beiden Landesteilen gefährden könnten. So blockierte Arlene Foster, die Vorsitzende der DUP, am 4. Dezember 2017 eine Einigung zwischen der britischen Regierung und der EU. Beide Seiten hatten sich verklausuliert darauf geeinigt, für Nordirland die bisherigen Rechts- und Handelsregelungen im Fall eines Brexits bestehen zu lassen. Damit wäre der Streit um die Grenze auf der irischen Insel entschärft worden. Die irische Regierung wiederum hat jetzt innerhalb der EU ihre traditionellen Bindungen an das Vereinigte Königreich aufgegeben und sieht ihre Interessen besser im Lager der 27 EU-Staaten vertreten.

Begünstigt wurde dieser Positionswechsel in Dublin durch den Austausch der dortigen Regierungsspitze, nachdem der langjährige irische Premierminister Enda Kenny im Sommer 2017 die Verantwortung in die Hände seines wesentlich jüngeren Nachfolgers Leo Varadkar übergeben hatte. Er und sein neuer Außenminister Simon Coveney schlagen angesichts der britischen Unklarheiten in der Irland-Frage viel schärfere Töne gegenüber ihren Kontrahenten in London an. Das zeigt sich nicht nur in Brüssel, sondern auch bei den sich hinziehenden Verhandlungen in Belfast über die Möglichkeiten, dort wieder die obligatorische unionistisch-nationalistische Exekutive zu etablieren. Gleichzeitig macht sich in Dublin bereits die Sorge breit, wie lange und zu welchem Preis die übrigen EU-Staaten die irische Position unterstützen. Die irische Politik wird sich darauf einrichten müssen, ihre Interessen ohne den britischen Rückhalt im EU-Kontext vertreten zu müssen (Connelly 2017: 343). So wie Großbritannien unter dem Druck der Brexit-Entscheidung und dem Einfluss der nordirischen DUP auf die britische Politik seine Funktion als neutraler Mediator des nordirischen Friedensprozesses aufs Spiel setzt, so drängt der anstehende Brexit gleichfalls die irische Seite jetzt zur Parteinahme und zum Verzicht auf Unparteilichkeit.

5.2 Aus den Scherben etwas Neues fügen

Der Friedensprozess in Nordirland hat davon gelebt, dass alle Stützen gleichermaßen zur Wirkung kommen. Dazu zählen der internationale Rahmen und die Wächterrollen von London und Dublin ebenso wie die Mechanismen, ein verträgliches Miteinander in Nordirland selbst zu gestalten. Das alles steht jetzt in Frage. Die Befürworter eines Brexit haben die Nebenfolgen ihres Tuns nicht hinreichend bedacht. Es wäre geboten gewesen, sich vorab mit der Situation der Betroffenen intensiver zu befassen. An dieser Verantwortung hat es gefehlt.

Die Scherben sind nun in Belfast zu betrachten. Der nordirische Friedensprozess ist zum Stillstand gekommen. Sein einstiger Schwung zeigt keine Wirkung mehr. Interne und externe Akteure haben sich von ihm verabschiedet. Das seit zwanzig Jahren entstandene institutionelle Netz hat sich als nicht belastungsfähig genug erwiesen, strukturelle Defizite und Handlungsschwächen sowie personelle Intrigen aufzufangen. Vor allem aber ist in der langen Phase der Implementierung das ursprüngliche Interesse aus dem Blick geraten und vergessen worden, über Demokratisierung eine Befriedung gesellschaftlicher Konflikte zu erreichen und die Herrschaft mit umfassender gesellschaftlicher Legitimation auszuüben. An deren Stelle treten jetzt die Rückkehr zu überkommen geglaubten Abgrenzungen der Lager, das Hinnehmen des Demokratiedefizits, die Verweigerung von Kompromissen und das Festhalten an Kalkülen in Kategorien von Null-Summen-Spielen im Poker um Macht und Einfluss. Das Gift der Abgrenzung und der Distanzierung der beiden dominierenden Lager sickert ein. Die politischen Parteien und ihre Repräsentanten haben sich in die Wagenburgen ihrer angestammten Klientele zurückgezogen. Sie verweigern sich Appellen, sich zu öffnen und mit gesamtgesellschaftlichen Visionen zu konkurrieren. Das Instrument der Wahlen als Möglichkeit, sich neue Legitimation zu verschaffen, ist verschlissen. Wahlergebnisse verändern die politischen Kräfteverhältnisse nicht gravierend, sondern verschärfen nur die Polarisierung.

Gleichwohl signalisiert ein solch negatives Resümee nicht, dass mit dem Kollaps des Friedensprozesses Nordirland nun vor einer Wiederkehr von vergangenen Gewaltkonstellationen steht. Davon kann trotz aller ökonomischen und politischen Unwägbarkeiten und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nicht die Rede sein. Keine politische Kraft hat daran ein Interesse. Damit zeigt sich ein Spezifikum des nordirischen Falles, das ihn von anderen Nachbürgerkriegskonstellationen unterscheidet. Im weltweiten Vergleich ist die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem ausgehandelten Friedensabkommen und im Zuge von dessen Implementierung erneut Gewalt ausbricht, unvermindert groß. Statistische Auswertungen haben das in 90 Prozent der Fälle ermittelt (World Bank 2011: 57–58). In Nordirland steht dagegen zu erwarten, dass der gegenwärtige Schwebezustand zwischen Gewaltkonflikt und Bemühungen, ihm zu entkommen, anhält. Nun steht dessen Management an, beginnend mit der Klärung der Frage, wie lange und von wem das alles finanziert werden soll, über den Umgang mit der fehlenden gesellschaftlich legitimierten und politisch kontrollierten Herrschaft bis hin zur Justierung der Beziehungen Nordirlands zum übrigen Vereinigten Königreich, zur Republik Irland und zum atlantisch-europäischen Umfeld.

Ein britischer Austritt aus der EU erfordert, gleichgültig ob ein Brexit „hart“ oder „weich“ ausfällt, für die Friedenskonsolidierung in Nordirland zumindest kurzfristig die Ziele und Mechanismen des Belfast-Abkommens von 1998 zu respektieren. Das schließt ein, dass alle staatlichen Akteure die einzigartige Situation von Nordirland anerkennen, einschließlich der Mitsprache Dublins bei allen Fragen, die gesamtirische Angelegenheiten betreffen. Ferner sind die Rechte zu wahren, die die bisherige EU-Mitgliedschaft von Großbritannien und der Republik Irland den Nordiren gewährt. Das bezieht sich auch auf eine Repräsentanz der nordirischen EU-Bürger in europäischen Gremien, so bei der Wahl von EU-Parlamentariern. Zu erhalten ist schließlich das dichte Netz der Nord-Süd-Beziehungen auf der irischen Insel, wie immer die Grenzfrage und die Überwachung des Transfers von Personen, Gütern und Dienstleistungen zwischen beiden Rechtsgebieten geregelt werden (nach Phinnemore/Hayward 2017: 36-40). Den Menschen in Nordirland ist nicht zuzumuten, dass sie die negativen Folgen des in England entschiedenen Austritts aus der EU zu tragen haben. Wie das Zustandekommen des Belfast-Abkommens vor nahezu zwanzig Jahren und dessen Implementierung gezeigt haben, unterdrückt ein einvernehmliches britisch-irisches Vorgehen durchaus die Divergenzen zwischen dem unionistischen und dem nationalistischen Lager in Nordirland. Allerdings schließt ein Erhalt des Belfast-Abkommens nicht aus, dass einzelne Praktiken, zum Beispiel das Verhältnis von Exekutive und Legislative oder die Pflicht zur Konkordanzdemokratie einer Revision unterzogen werden.

Langfristig wäre ein hoffnungsvoller Ausgang der in einem Brexit kulminierenden Krise des Friedensprozesses, wenn im nordirischen Fall erneut mit einer innovativen Lösung aufgewartet wird wie vor zwanzig Jahren mit dem Ansatz seiner Friedensstrategie. Allerdings ist das an verschiedene Voraussetzungen gebunden. Konzeptionell liegt es nahe, einer Erfahrung aus der Mediationspraxis zu folgen. Diese bezieht sich darauf, dass sich kleine, beschränkte Probleme lösen lassen, wenn der Horizont sich weitet. Bezogen auf Nordirland und seine Konflikte im Inneren wie gegenüber dem Außen hieße das, sich ernsthafter dem Gedanken einer politischen Einheit der irischen Insel zu widmen, wie sie wirtschaftlich ohnehin bereits vorhanden ist. Das hätte jedoch den Preis eines britischen Souveränitäts auf diesen Landesteil. Immerhin war dieser bereits im Belfast-Abkommen von 1998 skizziert worden. Konstruktionen, die dem unionistischen Lager in Nordirland in einer neu entstehenden gesamtirischen Staatlichkeit über föderale Konstruktionen Bestandsgarantien geben, sind denkbar. Das impliziert, dass auch die Republik Irland ihre derzeit zentralistische Staatsordnung einer Reform unterwirft. Auch hier kann die EU mit ihrem Politikansatz Anregungen geben. Der hier anzutreffende Pragmatismus zeigt, wie ohne historische Verblendungen und ideologische Scheuklappen Teillösungen für komplexe Probleme gefunden werden, die den Willen zu einem Fortschritt unter Beweis stellen. Ebenfalls steht die EU für institutionelle Innovationen, indem sie staatliche und gesellschaftliche Akteure und Interessen in Entscheidungen einbezieht. Schließlich demonstriert die EU allen Krisen zum Trotz, dass sich Vorstellungen von Souveränität hin zu Realitäten öffnen können, die nicht allein auf die Macht einzelner Staaten rekurrieren (Laffan 2017: 46, 56).

Eine solche anspruchsvolle konzeptionelle Neuorientierung bedarf jedoch einer starken politischen Führung mit gesellschaftlichem Rückhalt in London, Dublin und Belfast sowie eines förderlichen internationalen Umfelds, um die Umgestaltung der staatlichen Strukturen zu initiieren und ihren Vollzug zu steuern. Selbst wenn derzeit nichts oder wenig für die Realisierung solcher Ideen spricht, sind dennoch neue Optionen rechtzeitig und mit Ernst zu prüfen. Es ist herauszudestillieren, für welche Möglichkeiten sich Rückhalt mobilisieren lässt und wo neue Denk- und Sprechweisen zum Leben erweckt werden können. Das beinhaltet in den Worten der deutschen Philosophin und Kolumnistin Carolin Emcke, „die politische Tugend der Fantasie zu revitalisieren, auch wenn es bedeutet, angreifbar zu sein“ (Emcke 2017). Ein solches Wagnis stand auch am Beginn des nordirischen Friedensprozesses in den 1980er-/1990er-Jahren. Einzelne oder kleine Gruppen hatten sich darauf eingelassen, Undenkbares zu denken, gemeinhin nicht akzeptable Kontakte zu suchen und bisher nicht gefragte Kräfte zu mobilisieren. Auch in der gegenwärtigen Misere kann aus einem solchen Vorgehen ein neuer Friedensprozess wachsen.

 

1Die Fläche von Nordirland nimmt 5,7 Prozent des britischen Territoriums ein. Mit heute 1,8 Mio. Einwohnern leben 2,9 Prozent der britischen Bevölkerung dort.
2Geehrt wurden 1976 die beiden Friedensaktivistinnen Betty Williams und Mairead Corrigan und 1998 die Politiker David Trimble (Unionist) und John Hume (Nationalist).
3Empfänger waren 1995 John Hume und 1999 der US-Politiker George J. Mitchell als Mediator.
4Die Analyse bezieht Ereignisse bis zum 4. Dezember 2017 ein.
5Einen datengesättigten Überblick über die politischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse zwischen 2012 und 2016 liefert: Northern Ireland Peace Monitoring Report (zwischen 2012 und 2014 jährlich, ab 2016 alle zwei Jahre).
62015: Wahlen zum britischen Unterhaus – 2016: Wahlen zur Regionalversammlung und britisches EU-Referendum – 2017: Neuwahlen zur Regionalversammlung und Neuwahlen zum britischen Unterhaus.
7Zu den Details siehe Bundeszentrale 2017 und Oppermann 2016

 

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Erstveröffentlichung:

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https://www.hsfk.de/publikationen/publikationssuche/publikation/nordirland-das-ende-vom-lied/

 

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Aus der Annotierten Bibliografie


Maximilian Rapp

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Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Nomos Universitätsschriften: Politik 190); 282 S.; brosch., 54,- €; ISBN 978-3-8487-1419-3
Politikwiss. Diss. Augsburg; Begutachtung: M. Llanque. – Politisch motivierte Wandmalereien haben in Nordirland eine lange Tradition. Im Konflikt zwischen der nationalistisch‑katholischen und der unionistisch‑protestantischen Bevölkerung zeichneten sie, so Maximilian Rapp, „die politischen Entwicklungen in der Unruheprovinz an Häuserwänden und Mauern“ (33) nach. Die sogenannten Murals gelten als urbanes Phänomen und stehen stellvertretend für „die segregierte ...weiterlesen


Cornelia Albert

The Peacebuilding Elements of the Belfast Agreement and the Transformation of the Northern Ireland Conflict

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2009; 395 S.; 57,80 €; ISBN 978-3-631-58591-7
Politikwiss. Diss. Chemnitz; Gutachterin: B. Neuss. – Der Prozess der Friedenskonsolidierung oder des Peacebuildings ist ein wichtiges Element für die Transformation dauerhafter Konflikte. Albert untersucht, ob und inwieweit die im Abkommen von Belfast vom April 1998 enthaltenen Maßnahmen zur Beilegung des Konfliktes in Nordirland beigetragen haben. Ihr Augenmerk richtet sich dabei nicht auf die mit dem Abkommen einhergehenden institutionellen Veränderungen, sondern ausschließlich auf die ...weiterlesen


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